Architecture Suisse

LIBRE

Die Architekten des Helvetia-Neubaues erzählen von ihrer Arbeit

Rubrik(en)
LIBRE

Der Text der Artikel wird automatisch generiert und kann vereinzelt vom Original abweichen. Richten Sie sich bitte grundsätzlich an das Original-Pdf.

«Ich bin eine Dame, kein Mauerblümchen.» Siehe auch Seiten 70.7 - 70.10 In Prosa, nicht in einer nüchternen technischen Abhandlung, berichten Peter Degen und Professor Alfred Grazioli von der Argos, Architektur, Städtebau und Entwicklungsplanung, Basel, überdas Werden dieses markanten Neubaues, die gestalterischen Eigenheiten, das Innenleben und die eigenwillige Farbgebung. Mein Name sei Helvetia, sagen die Leute. Ich habe einen langen Weg hinter mir bis ich endlich in Eurer kleinen, netten Altstadt eingebürgert worden bin. Meiner Geburt gingen stürmische Zeiten voraus. Wie alteingesessene Leute zu berichten wussten, haben Auseinandersetzungen den Ort meiner planerischen Niederkunft schon früher geprägt. Schon um die Jahrhundertwende, als der alte Wasserturm zu Schutt gebrochen wurde, standen sich Eiferer moderner Zeiten und Skeptiker bestandener Werte hier gegenüber. Der Abbruch des Wasserturms bildete sozusagen den Auftakt meiner Geburt. Dort wo vorher Stadtmauer und Turm den Fischmarkt schirmten, war eine Bresche geschlagen, ein neuer Zugang zur Altstadt geschaffen. Diesem Zugang verliehen Brandmauer und Parkplätze, alte und neue Nachbarbauten, die sich gegenseitig verleugneten, jahrelang ein provisorisches, zufälliges Aussehen. Ihm sollte ich ein neues Gesicht schaffen. Mein Hiersein sollte die Familie aller Bauten am Wasserturmplatz einigen. Mir war auferlegt, zwischen den entfremdeten, ungleich grossen Nachbarn zu vermitteln. Meinen Vätern (von denen ich hoffentlich jeweils nur die besten Anlagen mitbekommen habe) wurde ans Herz gelegt, mich zur Gastfreundlichkeit anzuhalten. Mit meiner umlaufenden Arkade biete ich Behaglichkeit auch jenen Passanten, die nicht wegen mir am Wasserturmplatz vorbeikommen. Mit meiner über drei Geschosse eingezogenen Ecke soll ich auf den Durchgang zwischen Wasserturmplatz und Fischmarkt hinweisen, soll der ungefüge Durchbruch gestaltet, akzentuiert werden Mein Lebensraum war vorbestimmt. Die Parzelle «Schultz» und der gütige Zuschuss der Gemeinde haben meine Standfläche Umrissen. Die Grösse, so wurde beschieden, müsse ich vom Nachbarbau übernehmen. Der Rest, könnte man im Einklang mit einem bekannten Architekten meinen, «ist angewandte Sonne»! Wenn es so einfach wäre, brauchte es keine Architekten. Da es also Architekten gibt, muss es komplizierter sein ! ... Ich bin gestaltet, ich bin nicht gewachsen wie ein Naturprodukt. Ich bin ein in Stein und Beton gegossenes Werk. Viel Eisen ist in mir, man hat immer gesagt:«Du solltest dies zu dir nehmen, ein Lastenzug könnte dir in die Beine fahren.» Als Mass anzulegen war, haben meine Väter meine kleinen Nachbarhäuser untersucht. Gefunden wurde ein ausgewogenes Verhältnis zwischen vertikalen und horizontalen Elementen, eine vertikale Betonung der einzelnen Häuser durch übereinandergestellte Fensterreihen, durch unterschiedliche Traufen, Einkerbungen in den Fassaden, Farbe und vieles andere mehr. Das qualitätsvolle Zusammenspiel all dieser Elemente hat meine Erbauer bewogen, mir meine Eigenständigkeit gegenüber meinem grösseren Nachbarzu geben und mich sinngemäss zu gliedern. Kerben und Einschnitte trennen mich von ihm. Zusammen mit dem Lichtschlitz in meiner Mitte verleihen sie mir eine eigene vertikale Betonung. Auch meine Traufe ist anders und meine Fensterreihen liegen auf einer anderen Höhe als die meines Nachbarn. Auf diese Weise wirkt jener nicht zu lang und ich füge mich in das Baumuster der Altstadt ein. Meine Verwandtschaft mit den Altstadthäusern ist auch sonst nicht zu verleugnen: Mit dem Fensteraufbau, der die Öffnungen von unten nach oben kleiner werden lässt, die im obersten Geschoss fein variierte Anordnung dieser Fenster, mit einer kleinen Nut in Augenhöhe, um den Sockel anzudeuten, dem Steinfries und dem Dachgesims, die mich niedriger erscheinen lassen.

«Hüte» hat man mir viele verpassen wollen, so etwa denjenigen mit dem gewohnten Dachvorsprung... Aber, verzeiht mir, ich habe-an diesem nicht ganz dem Gewohnten entsprechenden Ort ausgesehen wie ein chinesischer Reisbauer. Weil dieser in Liestal nicht heimisch ist, war mir wenig danach zumute, wie ein Reisbauer auszusehen... Es stimmt, ein bisschen wollte ich etwas Besonderes sein. Ich habe ja auch viel Geld (und Nerven) gekostet ! Ich bin die Helvetia, ich bin eine Dame. Kein Mauerblümchen, mein Gewand ist farbig, soll meine Eigenständigkeit untermalen. Diese Farben... verwundert Ihr Euch. Wo ich da reingefallen sei... Das Blau würde ja noch gehen, das kommt wenigstens dem barocken Blaugrau im Städtli noch am nächsten. Aber das Violett, das passt doch gar nicht ? ! Und dann frage ich Euch, was hättet Ihr gemacht? Etwa weiss,-oh nein, das sticht zu sehr hervor. Oder... dunkelblau ? Oh, wie stumpf und langweilig, alles blau in blau. Dann wäre noch gelb, die Komplementärfarbe zu violett. Ein schmales Band in gelb, so etwa das Steinfries unter dem Dachgesims, das hätte vornehm wirken können. Aber alle

Einfassungen in gelb?-Zu aufgetakelt. Ich freue mich meiner Farbe. Vielleicht, ja vielleicht gefallt sie doch einigen. Vielleicht erst nach längerer Zeit der Betrachtung im wechselnden Licht der Jahreszeiten, der Quervergleiche mit anderen Bauten. Ich wirke nach aussen. Das merken alle. Ich habe aber auch ein Innenleben. Ich werde benutzt und das ist schön so: einem Zweck zu dienen ist der Wunsch eines jeden Hauses. Meine Nutzer können mich auf unterschiedliche Weise und zu unterschiedlichen Zwecken gebrauchen. Ich bin glücklich, in den meisten Geschossen flexibel gebaut worden zu sein : dies ist meine Lebensversicherung. Im Untergeschoss und im Erdgeschoss beherberge ich ein Confiserie-Patisserie-Geschaft. Hier wird unten produziert und oben im Laden verkauft. Mit einem «schrägen Blick» kann man von der Arkade nach unten sehen. Allerdings, allein deshalb sind diese Fensterflachen nicht da. Vielmehr verlangt das Gewerbeamt einen Lichteinlass für die Produktionsräume im Keller. In der Flache fest Umrissen wurden diese mit Müh und Not am Bau erreicht. Oben, im ersten Stock oder, vornehmer gesagt, in der«Bel-Etage» findet Ihr das Café. Hinein gehts durch den Laden, auf einer Art Wendeltreppe nach oben. Der Aufstieg nach oben gestattet vielfältige Ausblicke und Durchblicke-der Weg soll keine Mühsal sein. Vom Cafétisch dann kann der Blick nach unten zum Platz oder zum weiteren Umraum gehen. Ein Spalt, eine Öffnung wird sich in den lichterfüllten Räumen immer finden lassen. Überden Büros meines umsichtigen und manchmal auch so geduldigen Namengebers und Bauherrn, der Helvetia-Feuer, folgen weitere Dienstleistungsraume. Der Fahrstuhl aberzeigt noch ein Stockwerk an : die Wohnung unterm Dach, mit viel Holz und grossem Rundblick in die Liestaler Umgebung, zum Sichternhügel, ins Ergolztal hinab. Im Stadtli wohnen, das Grün, die Wäldervor Augen haben: eine Symbiose (oh dieses Fremdwort) im Herzen Liestals. Im übrigen: es hat auch ein Treppenhaus. Dass man es von oben nach unten und von unten nach oben benutzen kann ist wohl die Eigenart jeden Treppenhauses. Dass es auf meiner engen Parzelle innen liegt, versteht auch jeder. Dass die Treppe aber frei in den Raum gehängt ist, durch Lichtschlitze, verglaste Mauerflächen und diffuses Streulicht abwechslungsreich, ja überraschungsreich erhellt wird - dies ist seine Besonderheit. Des weitern, mein lieber Leser, was Du auch immer von mir hältst: ich habe eine ehrliche Haut. Eine ehrliche Haut im Bauen ist eine solche, welche in ihrer ausseren Wirkung den inneren Charakter des Baues ablesbar macht. Der Aufbau meiner Fassade, die unterschiedlichen Fenstergrössen sind abgestimmt auf die inneren Räumlichkeiten. Die grossen Fenster im Café erlauben den ungehinderten Blick zum Platz. Auch die im Büro der Helvetia-Feuer Arbeitenden vermögen einen solchen Ausblick zu geniessen. Die Altstadt von Liestal hat schliesslich ihre Werte und die Präsenz solcher Werte kann für die Arbeit nur stimulierend sein. Wie jammerschade wäre es, den Blick zum Fischmarkt mit einer zu hohen Brüstung zu verbauen. Die Öffnungen im dritten Obergeschoss schliesslich wirken nach den geschosshohen Fenstern im Café wie Scharten einer Zinnenburg. In dieser Höhe vermitteln sie Schutz und lassen trotzdem genügend Licht und Sonne hinein. Die Fensterprossen wirken nach aussen, teilen und gliedern durch ihre Schatten aber auch meine Räume im Innern. Sie übersetzen das Äussere ins Innere Zum Schluss noch: Letzthin wurde, stürmisch wie eh und je, wieder über meinen Ort gesprochen. Dem Wasserturmplatz soll nun ebenfalls ein neues Kleid geschaffen werden. Damals, an einem Abend, als viele Leute mit vielen Fingern auf den Platz und auf mich zeigten, da war zu vernehmen, eigentlich sei es schade, einen so schönen Bau mit einer stilisierten Turmkonstruktion verdecken zu wollen. Dies hörend merkte ich: ich werde in dieser Eurer, meiner Altstadt meine Freunde finden... Freunde, welche meine Verwandtschaft mit dieser Stadt nicht nur erkennen, sondern sie als Hoffnung auch einer Erneuerung zu werten wissen, welche Altes in Neuem fortdauern lässt.