Anfangs 1978 hatte ich das Glück, zu sehr guten Bedingungen den Posten des Walliser Kantonsarchitekten zu bekommen. Ich war damals erst 36 Jahre alt, und das Wallis hatte gerade den SAVRO-Skandal mit seinem Filz an Korruptionsaffären ausgestanden. Der Kanton war zu einem neuen Anfang bereit, und ich hatte keine Vergangenheit, die mir an-haftete. Mein Amtsvorsteher Franz Steiner liess mir freie Hand. Wir konnten von der frei-händigen Vergabe der Architekturaufträge zum System der Wettbewerbe mit der Beurtei-lung der Qualität bei anonymer Teilnahme übergehen. Für kantonale Projekte war dies schon von Zeit zu Zeit so gehandhabt worden, wenn nicht gerade mein Vorgänger, der sein privates Büro behalten hatte, sich selber die Aufträge zuschanzte. Für kommunale Projekte war das eine andere Sache, und da gelang es mir, im Gesetz über die Subventionierung der Schulbauten die Verpflichtung zur Durchführung von offenen Wettbewerben unterzu-bringen, zu Anfang nur auf kantonaler Ebene und später für Architekten aus der ganzen Schweiz. Das war nicht immer einfach, aber die ersten Beispiele waren erfolgreich, dank der Teilnahme der örtlichen Vertreter an den Jurys. Diese waren an die bisherige Vettern-wirtschaft gewöhnt und sahen sich plötzlich mit 30 oder 40 anonymen Projekten konfron-tiert. Sie nahmen an der Beurteilung und an den Eliminierungsrunden teil und mussten dann feststellen, als die Umschläge geöffnet wurden, dass die Projekte ihrer ortsansässi-gen Architekten nicht unbedingt die besten waren. Ich habe bei den Jurys immer darauf geachtet, dass ein Konsens zustande kam und dass nicht ein Bauherr ein Projekt akzeptie-ren musste, das ihm nicht gefiel.
Damit die Wettbewerbe erfolgreich waren, war es wichtig, eine gute Jury zusammenzustel-len. Die teilnehmenden Architekten mussten nicht nur im Stande sein, die Projekte gut zu beurteilen, sondern sie sollten auch ihre Argumente den nichtberuflichen Teilnehmern gut vermitteln können, damit diese sie sich zu Eigen machen konnten. Nach der Teilnahme an einer Jury gingen dann die Mitwirkenden – der Präsident und die Gemeinderäte – ausei-nander, waren überzeugt von dieser Methode und wurden die besten Verfechter dafür. Al-les das hat gut funktioniert, 90% aller von den Jurys ausgewählten Projekte wurden inner-halb von fünf Jahren ausgeführt und dies zu absolut wettbewerbsfähigen Preisen.
Später kamen dann die „neuen öffentlichen Verwaltungsregeln“ und die „öffentlichen Märk-te“ mit ihren juristischen und wirtschaftlichen Beratern, die die Forderungen aufstellten, alle Aufträge auf der Basis eines verbindlichen Honorarangebots zu vergeben. Man musste ihnen klarmachen, dass der Honorarvorschlag nichts mit der Qualität eines Bauwerkes zu tun hat, dass man für ein reduziertes Honorar ohne weiteres ein schlecht konzipiertes und noch teureres Bauwerk bekommen kann. Die Juristen und Anwälte, die keinen Wettbewerb untereinander ausmachen, was ihre Honorare betrifft (man nehme den preiswertesten und verliere seinen Prozess...) – sie haben uns Hindernisse in den Weg gelegt, und sie sind ja zahlreicher in unseren Parlamenten vertreten als die Architekten...
Aber zu jedem Vorschlag gibt es noch einen besseren: wir haben dann abgemacht, zu jedem Wettbewerbsprojekt ein Honorarangebot in einem verschlossenen Umschlag beizulegen, der erst nach der Auswahl eines Projektes geöffnet wurde. Wir mussten auch Wege finden, mit Hilfe von Auswahlverfahren zu vermeiden, dass zu viele Projekte eingereicht wurden, dass zu viel Arbeit ohne Entlöhnung geleistet wurde von Architekten aus weniger kreativen Kantonen, die mit Wettbewerben geizten.
Es ist klar, dass man für diese Arbeit mit dem Ziel einer zukunftsgerichteten beständigen Architektur akzeptieren muss, es nicht jedem recht machen zu können. Es braucht eine gute Portion Standhaftigkeit und Vorgesetzte, die einem vertrauen. Es hilft dabei, wenn man seinen Job eine lange Zeit macht (bei meinen 29 Jahren hatte ich drei davon). Was mich bei meinem Abschied am meisten freute, war zu sehen, wle viele gut qualifizierte Leute sich um meine Nachfolge bewarben – auch sie wollten „Beamte“ werden.
PS: Das einzige Geheimnis, als beamteter Architekt an seinem Platz zu bleiben und in Freiheit zu arbeiten, besteht darin, immer alle Kostenrahmen und Kredite zu respektieren. Das ist alles, was die Politik interessiert. Auf diese Weise kann man an seiner Arbeit Spass haben...
Bernard Attinger, Walliser Kantonsbaumeister von 1978 bis 2007