Die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge sind bezeichnend für die politische Organisation einer menschlichen Gemeinschaft. Zu ihrer Zeit haben die grossen Geister der Renaissance fast alle ihrer Meisterwerke auf der Basis der alleinigen Entscheidung eines kultivierten Autokraten geschaffen. Die Gleichung ging auf: eine einmalige Qualität hing ab von einem persönlichen Willen und andererseits vom Talent des auserwählten Künstlers. Ein demokratisches System hingegen, mit den gleichen Chancen für alle, erlaubt den Wettbewerb, das Aufeinandertreffen der verschiedenen Ideen, mit dem Ziel, das beste Resultat zu finden. Der offene Wettbewerb führt zur Optimisierung durch die Möglichkeit zum Vergleich verschiedener Lösungswege.
Trotz gewisser korporativer Traditionen bot die Schweiz mit ihrer demokratischen Grundverfassung gute Bedingungen zu diesen Wegen der beruflichen Konfrontation, besonders auf dem Gebiet der Architektur.
Ab der 1970er Jahre experimentierten junge Kantonsarchitekten mit neuen Formen der öffentlichen Wettbewerbe, besonders in Basel-Stadt, in Bern, im Wallis und im Waadtland. Eine Generation neuer talentierter Architekten trat ins Rampenlicht.
Die Auslober hatten so nicht nur die Möglichkeit, über den Wettbewerb die Qualität der Projekte und ihrer Verfasser zu bestimmen, sondern sie konnten auch deren Optionen vertreten, indem sie den Nachweis erbringen, dass diese im Vergleich verschiedener Möglichkeiten entstanden und dadurch gerechtfertigt sind. Dazu muss der Staat ein Beispiel geben durch fehlerlose Verfahren – so wird der Wettbewerb zu einem Akt von kultureller Art, der alle Beteiligten auf ihre Art gewinnen lässt.
Seit 1994 sind die Vergabeweisen, die bisher keinen Bedingungen unterworfen waren, durch das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen geregelt. Man muss sich dazu heute fragen, ob die Vereinheitlichung des Wettbewerbswesens nicht eher zu einer Situation beigetragen hat, in der die ökonomischen und administrativen Aspekte die Oberhand bekommen haben?
Die Möglichkeiten eines Wettbewerbsverfahrens, zur Aufstellung eines Programms beizutragen, erscheinen im Falle des Wettbewerbs der Cité in Lausanne. Der Schlossplatz und die umgebenden Gebäude haben ihren Zusammenhang verloren durch den Abriss der Porte Saint-Maire und den Bau der Ecole de Chimie im Jahre 1893.
Im Laufe der 1990er-Jahre begann man darüber nachzudenken, das ganze Quartier neu zu ordnen, neue Räume für den Grossrat zu schaffen, das Schloss zu restaurieren und die Ecole de Chimie zu erhalten oder auch nicht, nachdem die Universität nach Dorigny ausgewandert war.
Das kantonale Bauamt organisierte hierzu im Jahre 1997 einen Ideenwettbewerb, aus dem im Jahre 2000 dann ein Projektwettbewerb hervorging, der sich auf das neue Parlament konzentrierte. Die Preisträger – das Büro Gachet Mestelan und Ferran – schlugen vor, es unter der Esplanade zwischen dem historischen Bau des Grossrats von Perregaux und dem Schloss anzuordnen.
Dann kam der Brand in der Nacht vom 13. auf den 14. März 2002. Das alte Gebäude des Grossrats bestand nicht mehr, und alles musste von vorne begonnen werden.
Die Brandkatastrophe führte zur Entdeckung mehrerer historische Fakten aus der Geschichte dieses Bauwerks, das seit dem Mittelalter mehrmals umgebaut worden war. Die Idee eines „Hauses für den Grossrat“, die über Jahre zur Diskussion gestanden hatte, wurde grundsätzlich neu definiert. Diese Möglichkeit eines neuen und einem heutigen Parlament angemessenen Bauwerks genau auf den Grundmauern des Originalbaues schuf ganz neue Blickwinkel. Eine kollektive Reflexion mit Abgeordneten und Vertretern der Politik und der Verwaltung, Fachleuten und technischen Experten, der Zivilgesellschaft und der Vereinigungen, bestätigte die von allen getragene Idee, diesen vom Architekten Perregaux vor über 200 Jahren gewählten Standort wieder zu beleben. Weder die Idee eines konformen Nachbaus noch die Option, alles abzureissen für einen kompletten Neubau, wurden dabei als gut befunden.
Bei der Ausarbeitung des Programms zum Wettbewerb, der zur heutigen Realisierung führte, hat sich die Jury klar für eine moderne Architektur ausgesprochen, die sich ganz oder teilweise auf die vorhandene Bausubstanz abstützen und sich dabei an ihr orientieren sollte, so wie schon Alexandre Perregaux zu seiner Zeit. Aus dem Wettbewerb, der 2007 ausgeschrieben und 2009 beurteilt wurde, ging als Gewinner das Projekt „Rosebud“ hervor. Dieser Entwurf brachte nicht nur das gesamte Raumprogramm unter, sondern schlug eine unserer Zeit angemessene originelle Dachform vor und öffnete dazu das Parlament, anstelle seines früheren Zugangs, über einen monumentalen Eingang direkt auf die Rue de la Cité Devant. Die klare Eindeutigkeit dieses Projekts hätte zweifellos nicht entstehen können, wenn die partizipative Prozedur weitergeführt worden wäre – denn auf diese Weise entsteht meist, nachdem die grossen Linien definiert sind, ein Kompromiss, der jedes Risiko ausschliesst. Bei einem Wettbewerb hingegen wird von einer Jury aus Fachleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft zwischen unterschiedlichen Lösungen für ein gleiches Programm entschieden und diese werden bestätigt, indem man die verschiedenen Varianten ausdiskutiert.
Man kann sich fragen, ob die durch die originelle Farbe und Form des Dachs ausgelöste Polemik einen Sinn hatte. Bei einer Volksbefragung wäre sie sicher durchgefallen. Wie kann man eine Mehrheit von Bürgern für eine ästhetische Frage gewinnen? Der Beweis dafür war die Phase der Projektentwicklung, als sowohl der Bauherr als auch die beteiligten Architekten versucht hatten, eine intelligente Diskussion mit den Gegnern des Projekts zustande zu bringen über die heutigen konstruktiven Prinzipien. Zu ihrem grossen Erstaunen mussten sie die grosse kulturelle Ignoranz ihrer Gesprächspartner feststellen, die blind an ihren Prinzipien festhielten, wobei keiner mehr heute dafür verantwortlich sein will. Dies in einem Land, in dem die berufliche Ausbildung, das System der Auftragsvergabe über Wettbewerbe und die der Bauausführung zugestandene Qualität ausser Zweifel stehen und um die man uns beneidet, die international als Beispiele im Bauwesen zitiert werden – man darf sich die Frage stellen, ob sich die Architektur dem Geschmack des Volkes unterzuordnen hat?
Jean Pierre Dresco, Waadtländer Kantonsarchitekt von 1972 bis 1998
Marc Collomb, Architekt