Architecture Suisse

LIBRE

Monte Carasso!

Author(en)
Jachen Könz
Rubrik(en)
LIBRE

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Ich solle etwas über das aktuelle Geschehen im Tessin schreiben. Über einen der schönen Bauten, welche in den vergangenen Jahren entstanden sind, über schönes Wetter, über eine nonchalante Italianità? Was mich im Tessin umtreibt – und dies umso stärker, wenn ich aus der offenbar so organisierten Deutschschweiz zurückreise – ist unsere Unfähigkeit, eine sehens- und lebenswerte Urbanität zu schaffen. Wenn ich daran denke, dass die Mehrheit der Bauten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, vor zwei Generationen also, und wenn ich denke, dass fast alle öffentlich genutzten – und als solche empfundenen – Orte vor dem 20. Jahrhundert entstanden sind, muss ich gestehen: wir haben versagt. Städtebaulich gesehen. Der Bundesrat hat in den 70er Jahren die erste Welle der Zersiedelung mittels Zonenplänen eingedämmt, erfolgreich, als Schutz der Landschaft. Innerhalb der meist zu weit ausgelegten bebaubaren Zonen wurde aber kaum eine Qualität im Sinne eines öffentlichen Raumes erreicht: vielmehr entstanden Bauten mit traurigen Zwischenräumen. Mit dem revidierten RPG aus dem Jahr 2013 sollen wir nun verdichten, also nach innen wirken. Können wir dadurch lebenswerte Räume im Sinne einer Baukultur entwickeln, wie es Alain Berset mit der Erklärung von Davos in Auftrag gegeben hat? Oder wird sich auch diese Massnahme nach dem Giesskannenprinzip rein quantitativ eine höhere Ausnützung zur Folge haben? Nach wie vor bietet uns Monte Carasso, das städtebauliche Experiment von Luigi Snozzi, einige Ansätze, wie man Urbanität schaffen kann. Im Folgenden möchte ich auf drei räumliche Prinzipien fokussieren, welche wir in Monte Carasso vorfinden: Identifikationsort (Punkt), Begrenzung (Linie), Baumasse (Fläche), welche in ihrer Einfachheit einen Ausganspunkt sein können.

Die Begrenzung, punktuell durch Solitärbauten definiert Die Besiedlung wird gegen die Ebene durch eine Strasse begrenzt und durch Solitärbauten artikuliert: zwei Wohnblöcke definieren einen Grünraum, bilden eine Mauer zur Autobahn und richten sich zum Dorf aus. Diese Solitärbauten haben eine präzise Beziehung zur Topographie und Landschaft und sind Übergangselemente von Wohnquartier zu Landschaft. Selbstbewusst stehen sie neben dem kleingliedrigen Wohnquartier.

In diesem Häusergewebe, ähnlich einer casbah, lässt also Snozzi maximalen Spielraum zu, ohne die bereits bestehende Struktur von Häusern, Äckern und Reben zu verändern. Hier entfaltet sich die Welt des Individuums mit wenigen Regeln, innerhalb derer jeder nach seinen Möglichkeiten maximiert. Die Analyse als Ausgangpunktes eines architektonischen Begreifens des Territoriums Zentral für Snozzi ist das architektonische Begreifen des Territoriums. „Auf der einen Seite beschäftigt mich die Notwendigkeit, Regeln für den Bau der zeitgenössischen Stadt festzulegen, die nicht nur für das einzelne Gebäude, sondern für einen ganzen Kontext Gültigkeit haben. Es handelt sich dabei um eine äusserst schwierige Aufgabe, denn bereits in einem Abstand von bloss 10 m erscheint jeder Ort als ein anderer und lädt mich ein, architektonisch anders einzugreifen.“ Der Ort will gelesen und verstanden sein: eine Analyse der bestehenden territorialen Elemente ist der unabdingbare Ausgangspunkt für eine räumlich qualitative Urbanität. Zusammenhänge werden hergestellt, Spuren aufgedeckt. In und mit der Landschaft gilt es, die Stadt mit ihren Räumen zu definieren. Punktuell-räumliche Eingriffe müssen sich wie die Akupunktur auf den ganzen Organismus auswirken. Durch minimale Eingriffe muss eine Entwicklung in Gang gebracht werden, welche an jeder Ecke empfunden werden kann, also auch in der Peripherie. Verdichtung ist eine Chance, verlangt aber die Fähigkeit zu Prioritätensetzung, Entscheidungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen, wie uns Snozzi in Monte Carasso gezeigt hat.

Während das Centro Monumentale durch die weise Hand des Maestro definiert, gezeichnet und vor allem geleert wurde, entfaltete sich im Wohnquartier eine starke Bautätigkeit verschiedener Architekten, basierend auf wenigen Regeln der Bauordnung, die im Wesentlichen eine einheitliche Dichte, die Möglichkeit, auf die Grenze zu bauen, eine Höhenbegrenzung und die Begleitung jeden Projektes durch eine Kommission sind.

Das Wohnquartier – die Baumasse Das Wohnquartier, die eigentliche Baumasse, entwickelt sich um das leer gehaltene Zentrum, innerhalb der bestimmten Begrenzungen. Dieses wird als ein Gewebe aus bestehender Parzellierung, alten Ackermauern und bestehenden Strassen aufgefasst. Die Baurichtlinien basieren auf einer maximalen Verdichtung der Baumasse, unter Beachtung der Typologie und Morphologie der einzelnen Häusergruppen, ohne Einschränkung der architektonischen Sprache und der Konstruktionsmaterialien. „Ich habe mich entschlossen, nur diejenigen Elemente genauer Kontrollarbeit zu unterwerfen, die private und öffentliche Räume definieren: vor allem also die Umgebungsmauern; ferner konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit im besonderen auf die Art und Weise, in der das Gebäude auf der Parzelle positioniert wird“.

Das Zentrum – „il vuoto“: ein öffentlicher Raum der Identifikation Das alte Augustinerkloster wurde durch Snozzis Plan in seine wesentlichen Elementen herausgearbeitet und unter respektvoller Einfügung der neuen Nutzungen als Gemeindezentrum, als öffentlicher Platz reorganisiert. Mit Snozzis Aussage „Wir haben gar nichts gemacht – nur gereinigt“ ist wohl die ursprüngliche Eigenschaft gemeint, als gemeinschaftliches, zentrales Element in die weitere Umgebung zu wirken, als eigentlicher Identifikationsort.