Architecture Suisse

LIBRE

Die öffentliche Topografie

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Die Burg in Mesocco

Das Streben von Tourismusregionen nach Aufmerksamkeit führt oft zu Missverständissen. Um den Gast zu umschmeicheln, werden auf Strassen und Plätze mit Lichterschmuck, Holztrögen mit Blumen, Fahnen und allerhand Kunst installiert. Dies weist leider meistens nur auf problematische Situationen dahinter…ich wage zu behaupten, dass wenn die elementare Substanz stimmt, hat sie die Ausstrahlung und Kraft den Menschen in Wohlbefinden zu versetzen. Im Dorf hat diese Substanz hat vor allem damit zu tun, was die Bauwerke für einen Bezug zu dem von ihnen umgebenen Raum haben. Wird dieser Raum direkt von den Hausfassaden begrenzt? Gibt es Mauern oder Zäune die den Strassenraum fassen? Gibt es gepflanzte statt gebaute Elemente, die räumlich wirksam sind und den öffentlichen Raum definieren, zum Beispiel Baumreihen oder Hecken? Oder steht das Haus mit Grenzabstand mitten auf seiner Parzelle und der öffentliche Raum wird als Restraum gelesen? Wie sieht die Parzellengrenze aus? Ist sie raumbildend oder ist sie nur für den Geometer lesbar?

Öffentlicher Raum ist jeglicher Zwischenraum zwischen Bauwerken, den es wie jeder Innenraum als Teil eines Ganzen in einer Ordnung von Hierarchien und Raumfolgen zu definieren und gestalten gilt. In einer Zeit, wo jeder Mensch seine Individualität nach aussen tragen möchte, wäre es enorm wichtig, genau diese Grenze zu definieren! Wird ein öffentlicher Raum nach guten Regeln begrenzt und gestaltet, wird das dahinter auch weniger relevant… Krampfhaft versuchen vom Zweitwohnungstourismus heimgesuchte Gemeinden ihre gebaute Substanz mit Gestaltungsplänen und Vorgaben zur Materialisierung zu retten. Dabei werden vorherrschende Materialien katalogisiert und zur Vereinheitlichung des Quartierbildes vorgeschrieben - je nach Quartier historisierend oder pragmatisch reproduzierend, - ohne eine Vision für das Ganze zu entwickeln! Das wirklich Problematische an diesen Häusern jedoch ist nicht deren Ausdruck oder Materialisierung, sondern deren Bezug zum schrägen Erdboden. Das Terrain wird oft so manipuliert, dass man das im Hang liegende Erdgeschoss freilegen kann - die Häuser wachsen nicht zur Erde hinaus, sondern versinken in einem ausgegrabenen Loch. In Flims steht ein Haus selbst an prominentester Stelle an der „Promenade“, anhand einer Böschung um ein halbes Geschoss tiefer gelegt am Gehweg- das Schaufenster hat kaum Bezug zum öffentlichen Raum. Einfahrten von Tiefgaragen verschneiden zusätzlich oft wahllos den öffentlichen Raum. Der sensible Umgang mit der Topografie ist die Herausforderung in Graubünden.

Nicht nur die Häuser im Dorf, sondern auch Strassen, Brücken und Parkplätze (welche in Regionen von Massentourismus oft beachtliche Dimensionen annehmen!) erfordern in der Landschaft eine präzise Setzung und sorgfältige Erdverschiebungen, um eine gute Einbettung in die Topografie zu bewirken. Unsere Berge werden zivilisiert, um sie für die Menschen zugänglich zum machen - somit wird letztendlich die ganze Landschaft zum öffentlichen Raum Graubündens! Wir tragen eine grosse Verantwortung gegenüber der Landschaft, diese mit Wegführungen und Infrastuktur zu versehen, ohne die Natur zu beeinträchtigen, sondern sie in ihrer Schönheit noch hervorzuheben - so wie das früher etwa die Kirchen und Burgen gemacht haben, die oft an den prominentesten Stellen stehen und die Landschaft zu inszenieren wissen. Die Burg in Mesocco hat sich den Felshügel zu eigen gemacht, er ist zum ihrem Sockel geworden und hat ihn auf eine Weise manipuliert, dass die Burg von ihrem Fels nicht mehr wegzudenken ist. Der kurze Tunnel oberhalb rahmt für einen kurzen Augenblick ihren Anblick und ich freue mich jedesmal, wenn ich von Graubünden ins Tessin fahre, auf den Moment dieser Erscheinung!

Selina Walder



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