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Anmerkung des Herausgebers
Sunayana Golechha sowie ein zweiter Student waren die ersten Inder, die ihren Abschluss an der Accademia di Architettura in Mendrisio abgelegt haben. Sie hat ihr Diplom 2019 erhalten. Derzeit leitet sie ihr eigenes Architekturbüro in Indien. www.sunayanagolechha.com
Viel Zeit ist vergangen, seit ich Studentin war. Aber es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als meine Freunde und ich in den intensiven Tagen vor unseren Abschlusskritiken eine Gelatopause in der Sonne machten. In den letzten Jahren, unterstützt durch zahlreiche Gespräche mit Freunden und Kollegen, haben mir Zeit und Abstand die Möglichkeit gegeben, über meine Ausbildung nachzudenken.
Wir unterschätzen oder vergessen oft den Einfluss, den eine gute Bildung auf uns als Berufsleute und Menschen hat. Mit dem Ziel, zu lernen, wie man ein guter Architekt wird, kam ich von Indien an die Accademia di Architettura in Mendrisio.
Die Accademia ist eine florierende Architekturschule in den Schweizer Alpen im Tessin. Sie bietet eine erfrischend humanistische Architekturpädagogik mit dem Kerngedanken, dass architektonisches Denken (und sicherlich die meisten kreativen Gedanken) hauptsächlich vom Geist der grossen Denker der Architektur geprägt wird, anstatt von der direkten Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Materie. Die Design Ateliers sind Orte einer strengen Praxis, des kreativen Schaffens und des Dialogs.Sie finden unter der Betreuung einer Reihe international anerkannter Architekten statt, bei denen die Studierenden die Möglichkeit bekommen, Entwurfsprozesse und Denkweisen zu verstehen. Zur Unterstützung der Studios finden interdisziplinäre Kurse und Workshops statt mit Schwerpunkt auf Kultur, Geschichte, Bauwesen, Kunst und Sozialwissenschaften. Zu den Kursen, die meinen Horizont besonders erweitert haben, gehören Nachkriegsarchitektur in Italien und Deutschland (Prof. Hildebrand), Lexikon der Architekturkritik (Prof. Pedretti) sowie Stile und Techniken des Films (Prof. Müller).
Eine Besonderheit der Akademie ist die Betonung der grundlegenden traditionellen Entwurfsprozesse − haptisches Engagement durch manuell produzierte Skizzen und Zeichentechniken sowie die Herstellung physischer Modelle. Von der Signatur atmosphärischer Betonmodelle im Atelier Miller bis hin zu den akribisch detaillierten Innenräumen aus Papier und Karton im Atelier Sergison wird keine Methode ausgelassen. Früher, im Atelier Holtrop, arbeiteten wir mit verschiedenen Materialien und entwickelten
unsere Projekte, indem wir jede Woche Modelle im Massstab 1:15 herstellten − so konnten die materiellen Gesten die räumliche Form bestimmen. Die Schüler arbeiteten mit Materialien wie Wachs, Bitumen, Harz, Kork, Salz, Erde, Beton, Stahl, Stoff, Stein und so weiter. Ein in den meisten Studios üblicher Ansatz besteht darin, Fotos von Modellen anstelle von softwaregenerierten Bildern zu produzieren, um die räumliche Qualität zu erforschen.
Mein prägendstes Semester war der Arbeitsprozess mit dem Motto „Tea House“ im Atelier Olgiati. Die Tatsache, dass ich neu im Atelier war und keine vorgefassten Meinungen hatte, brachte mir (was mir im Nachhinein bewusst ist) die Freiheit, zu denken und das Projekt wahrheitsgemäss zu manifestieren. In Auslegung dieses Mottos schlug ich ein privates Schwimmbad fernab der Stadt vor, in dem das zwanghafte Ritual des Schwimmens in einem abgelegenen Wald stattfindet. Es besteht als primitive Geste einer unbearbeiteten Ausgrabung − ein Schwimmbecken ausheben und mit dieser Erde einen Berg aus Ziegelsteinen errichten, in dessen Schatten man schwimmt. Der marmorumrandete Pool wird zu einem Aussenraum, der von Erde umgeben ist, mit Wasser gefüllt, und den Himmel über sich widerspiegelt. Er altert als natürliche künstliche Landschaft, als Ort der Sehnsucht. In vielerlei Hinsicht greift das Projekt die Werte der Begriffe Raum, Materialität und Natur auf, die mir in Indien vermittelt wurden, und vereint sie gleichzeitig in der kraftvollen Architektursprache von Professor Olgiati.
Das Diplom im letzten Semester nutzt einen bestimmten städtischen Kontext als Standort, wobei ein allgemeines Thema von der Accademia vorgegeben wird. Die Studierenden kommen nicht nur mit Professoren und Gastdozenten in Kontakt, sondern auch mit den örtlichen Behörden des gewählten Kontexts. Dies führt sie zu gründlichen Überlegungen, damit ihre Entwürfe relevant, technisch solide und realisierbar sind und gleichzeitig eine architektonische Sprache und Vision bewahren, die sich in einem Gebäude niederschlägt, das diesen Namen verdient.
Mit dem Atelier Jain war mein Diplomsemester durch die Werte der Raumgestaltung im Einklang mit dem Studio Mumbai, um einen Vorschlag in der Stadt Cagliari (Italien) zu erstellen. Die Studierenden haben die Möglichkeit, die Architektur zu entdecken, indem sie auf innere Praktiken reagieren, die für sie nützlich und bedeutungsvoll sind. Dies führt zu Prozessen und Ergebnissen, die ihre freien, aber einzigartigen Entscheidungen sind − angestossen durch ein Ausbildungsprogramm. Es gibt eine inherente Sensibilität, den Raum zu bewohnen, deren Synergie zwischen den Ideen der Migration, des Palimpsestes, der Kultur und des unsichtbaren Flusses liegt.
Ob man es nun als Lernen oder modernes Gurukul1 bezeichnet − was wirklich hervorsticht, ist die Chance, die die Schüler haben, unter der Obhut herausragender Geister zu stehen, die lehren, um zu inspirieren und zu wachsen, in der Hoffnung, dass ihre Schüler ihren eigenen Weg in dieser Welt finden, so wie sie ihn gefunden haben. Das Programm ermutigt die Schülerinnen und Schüler, einen freien Geist zu entwickeln, sich rigoros für ihre Arbeit einzusetzen und in einem Geist der Offenheit kreative Fähigkeiten und Ideen zu erwerben mit einem pragmatischen Ansatz. Die Ressourcen der Accademia, die der Forschung, Ausstellungen, Konferenzen, Jurys und Dialogen dienen, stellen sicher, dass die intensiven Semester auf dem Campus ein kulturelles Zentrum der Aktivität und des Wachstums in einem ansonsten begrenzten Stadtleben bilden. Starke Peer-Groups und eine intime Lernumgebung entwickeln sich zwischen endlosen Cafés, Schweizer Schokolade und Bergwanderungen.
Wenn man darüber nachdenkt, wie sich diese Erfahrung zwischen verschiedenen Orten und Kulturen wie der Schweiz und Indien weiterentwickeln konnte, wird die grundlegende Natur des Konstruierens deutlich. Die Unterschiede lösen sich auf, und was bei mir geblieben ist, ist eine von mir erlernte Art, die Dinge zu sehen und die Welt um uns herum zu verstehen, eine Art, Geschichte, Zeit, Raum, Ort, Kultur und sich selbst zu sehen; all dies auf der Suche nach einer Architektur, die zeitlos, nützlich und effizient ist. Was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist der Forschergeist, den uns so akribisch gelehrt wurde, immer mit uns zu tragen.
Sunayana Golechha
1 EIN GURKUL IS TEINE A RTVON BILDUNGSSYSTEM IM ALTEN INDIEN, BEI DEM DIE"STUDE NTEN" ODER „SCHÜLER“ IN DER NÄHE ODER DIREKT MIT DEM GURU LEBEN.
Editor's note
Sunayana Golechha along with a second student were the first Indian graduates of the Accademia di Architettura in Mendrisio. She graduated in 2019. She currently runs her own architectural practice in India. www.sunayanagolechha.com
A lot of time has passed since I was a student, yet it feels like just yesterday when my friends and I were taking a gelato break in the sun, in the intense days running up to our final critiques. The time and distance has allowed me to reflect on my education, with the help of many conversations with friends and colleagues over the last few years. We often undervalue or forget the impact that a good education has on us as professionals and human beings. In the pursuit of learning to be a good architect, I was led from India to the Accademia di Architettura in Mendrisio.
The Accademia is a thriving school of architecture tucked away in the Swiss Alps of Ticino – home to a refreshing humanist architectural pedagogy, with the central idea that architectural thinking (and certainly most creative thinking) can primarily be imbibed by understanding the minds of important architectural thinkers, rather than a direct exploration of a topic or subject. The Design Ateliers are places of rigorous practice, creation and dialogue, which take place under/are centred on the strong mentorship of a range of internationally renowned architects from whom students have the opportunity to understand design processes and ways of thinking. To support the studios, interdisciplinary courses and workshops focused on culture, history, construction, art, and the social sciences are undertaken. A few that particularly opened my mind included Postwar architecture in Italy & Germany (Prof. Hildebrand), Lexicon of architectural critique (Prof. Pedretti), and Styles and techniques of cinema (Prof. Müller).
One of the things that stand out about the Academy is its focus on core traditional design processes – haptic engagement through manually produced sketches and drawing techniques, and physical model making. From the atmospheric concrete models signature of Atelier Miller to the meticulously detailed interior spaces in paper and board signature of Atelier Sergison, there is no method left unlearnt. Previously in Atelier Holtrop, we worked with different materials and developed our projects by producing 1:15 models every week - allowing the material gestures to guide spatial form. Students worked with materials, such as wax, bitumen, resin, cork, salt, earth, concrete, steel, fabric, stone, and so on. A common approach with most studios is the production of model photos in place of software generated images, as a medium to explore spatial quality.
My most formative semester was the process of working with the motto ‘Tea House’ in Atelier Olgiati. Being new to the studio and the absence of preconceived notions granted me (with what I realised in hindsight) freedom to think and manifest the project in a truthful manner. Interpreting this motto, I proposed a private pool away from the city, where the obsessive ritual of swimming takes place in a secluded forest. It exists as a primitive gesture of raw excavation – excavating a pool and with this earth creating a mountain of brick, in whose shadow one swims. The marble-lined pool becomes an outdoor space, enclosed by the earth, filled with water, reflecting the sky above it. It ages as a natural artificial landscape, a place of desire. In many ways, the project distinctly holds the values of my inherent notions of space, materiality and nature imbibed in India, while bringing them together in the powerful architectural language of Professor Olgiati.
The formal articulation of these gestures is strongly critiqued at every stage. The work is deeply conceptual but technically sound, with a strong focus on the significance of the idea and how it translates into an architectural form and experience that is meaningful. A spatial model painted in
pristine white along with a large sized atmospheric poster image is a signature part of all student presentations.
The final semester Diploma uses a specific urban context as site, with an overall theme set out by the Accademia. Students interface not just with professors and visiting faculty, but local administrators of the chosen context, thereby forcing students to think deeply about making their projects relevant, technically sound, and feasible - all while retaining architectural language and vision that translates into a building-worthy proposal. With Atelier Jain, my Diploma semester was guided by the values of space-making consistent with Studio Mumbai to create a proposal in the city of Cagliari. Students are given the opportunity to explore architecture by tuning in to inner practices that are meaningful to them, resulting in processes and outcomes that are their free, but unique choices – urged to cause by a prompt to un-condition their thinking. There is an inherent sensitivity to inhabiting space, whose synergy lies between the ideas of migration, palimpsest, culture and invisible flow.
Call it an apprenticeship or a modern-day gurukul, what really stands out is the chance students have to be under this specific nature of tutelage of distinguished minds, who teach to inspire and grow, in the hope that their students may find a path of their own in this world, much as they found theirs. The program builds in students a free mind, a rigorous commitment to the work, and the development of creative skills and ideas with a pragmatic approach. The Accademia’s resources dedicated to research, exhibitions, lectures, juries and dialogues, ensure that the intense semesters on campus are a cultural hub of activity and growth, in an otherwise limited city life. Strong peer groups and an intimate learning environment unfold between endless coffees, Swiss chocolate and mountain hikes.
While reflecting on how this experience has carried forward, between different places and cultures like Switzerland and India, the fundamental nature of building is highlighted. Differences dissolve, and what has remained with me has been a learned way of seeing things and understanding the world around us – a way of seeing history, time, space, place, culture, and oneself; all in pursuit of an architecture that is timeless, purposeful and free. My biggest takeaway has been the spirit of inquiry we were so meticulously taught to carry with us at all times.
Sunayana Golechha