Architecture Suisse

PROFIL

PROFIL | Pierre Jeanneret

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© Leo Finotti

English version below

 

Anmerkung des Herausgebers

Dieser Text des Architekten Gilles Barbey ist ein Auszug aus einem vollständigen Profil über Pierre Jeanneret (1896–1967), das kostenlos unter www.editionsanthonykrafft.com AF+F 15 von 1969, S.81, abrufbar ist.

Im Jahre 1951 reist Pierre Jeanneret nach Indien und wird dort bis 1965 ständig wohnen. Das Werk, das er in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren allen Schwierigkeiten und dem Klima zum Trötz vollbringen wird, ist der beste Beweis für seine starke Persönlichkeit. In den Briefen an seine Freunde gibt er immer wieder seiner Bewunderung für die Kultur Nordindiens, für ihr Bestes, Ausdruck: die Edelheit des menschlichen Kontaktes, die Schönheit der Natur, den Erfindungsreichtum der handwerklichen Tradition. Dier Architektur von Pierre Jeanneret wird sich in Zukunft in diesem lokalen Zusammenhang weiterentwickeln als eine Gesamtheit von treffenden Antworten auf ewige Probleme. Eine Architektur im eigentlichen Sinne existiert noch nicht, und dennoch strahlt alles Architektur aus: die Eingeborenenhütten aus getrocknetem Lehm, die Konstruktion der Karren, das Innere der Behausungen; in denen die Bewohner auf dem nackten Boden leben. Sie verfügen über eine oberflächliche, aber vollständig in den Rahmen eingefügte Einrichtung. Jeanneret begibt sich in diese Wohnstätten, bemerkt die Art der Pandschab- Frauen, über ihren Haushaltpflichten zu wachen, wobei Stützen in Reichweite alle ihre Bewegungen erleichtern.

Einen wesentlichen Teil seiner Beschäftigung widmet Jeanneret dem Klima. Jede Lebensweise ist unlöslich daran gebunden. Die Veranden und Tore vor den neuen Wohnstätten sind mit Rücksicht auf einen Baustoff mit begrenzten und dennoch beständig erneuerten Möglichkeiten ausgeformt. Der lockere Tonziegel gibt Jeanneret skulpturale Möglichkeiten, die er wirkungsvoll zu 

nutzen versteht. Durch eine Verlängerung des Daches nach aussen schafft er zwischen dem Innern und dem Freien einen Ort der Ruhe und Zerstreuung. Schatten und Kühle sind der Gewalt der Mittagssonne angepasst. Eine transversale Ventilation soll einen angenehmen Aufenthalt garantieren. Unter seiner Tätigkeit in Indien sucht Pierre Jeanneret mehr denn je einfache und wirtschaftliche Lösungen zu entwickeln.

Das Fehlen jeglicher Mechanisierung auf den Baustellen überrascht ihn. Nachdem er sich in Europa um arbeitskraft- und damit kostensparende Systeme bemüht hatte, sieht er sich plötzlich der Notwendigkeit gegenüber, unzählige Handlangerdienste zu verwenden, wo Maschinen die Arbeit hätten übernehmen können. So bilden gigantische Holzgerüste eine Folge von Plattformen und Rampen, auf denen sich die Arbeitsgruppen die Baustoffe in einer fortlaufenden Kette weiterreichen. Der Anblick dieser Baustellen und der auf alle Niveaus verteilten Menschengruppen inspirierte wahrscheinlich Jeanneret zu jener Stufenform, die erselbst in seinen monumentalsten Werken beachtet hat.

 

 

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BAUGERÜST

Pierre Jeanneret verwirklicht mit den am Platze verfügbaren Mitteln das Werk Le Corbusier’s in Chandigarh, das Kapitol, den Obersten Gerichtshof, das Parlamentsgebäude und das Sekretariatshaus. Le Corbusier verbringt nur einige Tage im Jahr in Indien, und die mit Pierre Jeanneret gewechselten Briefe beweisen deutlich die gemeinsame Begeisterung und gegenseitige Achtung, die die beiden Architekten verbindet. Wenn Le Corbusier Werk in Indien jenen Eindruck vollkommener Leichtigkeit und grosser Unmittelbarkeit vermittelt, so darf dabei nicht vergessen werden, dass es das Ergebnis von zäher Arbeit ist, deren hauptsächlicher Urheber Pierre Jeanneret war. Jeanneret erwirbt sich das Vertrauen und die Freundschaft Nehrus und der Mitglieder des Parlamentes, die in ihm einen wirklichen Verbündeten sehen. Die Aufträge strömen in sein Büro, und man versteht heute kaum, wie er in einer so kurzen Zeit all das verwirklichen konnte, was er unternommen hatte. Denn sein Werk ist so umfangreich, dass es für einen einzigen, wenn auch mit noch so guten Mitarbeitern umgebenen Mann übermässig erscheint. Nie entsteht der Eindruck der Erschöpfung vor der Aufgabe. Der Beitrag ist ohne Unterlass erneuert.

 

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VERWALTUNGSGEBÄUDE DER UNIVERSITÄT VON CHANDIGARH

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Die von Pierre Jeanneret in Chandigarh und Umgebung gebauten Wohnhäuser beherbergen alle Bevölkerungsschichten. Wozu das Gebäude auch immer bestimmt ist, es spiegelt die Sorge um ein menschenwürdiges Milieu. Aus diesem Grunde haben das Haus eines Ministers, eines einfachen Arbeiters und auch sein eigenes Heim jene Schlichtheit gemeinsam, die dem Wunsch nach Formulierung des Wesentlichen entspringt. Der Komfort besteht folglich nicht in einer vollkommenen Ausstattung, sondern in allem, was zur Entfaltung der Bewohner beiträgt: Licht, Raum, Schönheit und Harmonie der Formen. Pierre Jeanneret’s Willenskraft bewirkt, dass sein Werk in Übereinstimmung mit der indischen Auffassung von der Zeit, in der die Vergangenheit eine weit bedeutendere Rolle spielt als im Westen, unvergänglich bleibt. Die Schaffung einer ewigen Natur erfordert viel Vorstellungskraft. Pierre Jeanneret wird nacheinander mit dem Bau zahlreicher Einzel- und Kollektivwohnungen, Schulen, Universitätsgebäude und Verwaltungszentren beauftragt. Daneben macht er Stadtbaupläne, die sich auf die Notwendigkeit gründen, Automobile und Fussgänger zu trennen, intensive Arbeitsgegenden zu schaffen, die mit Erholungszonen abwechseln, das Wohlbefinden eines jeden zu fördern, indem ihm die Freiheit gegeben wird, sich überall niederzulassen und jederzeit umzuziehen. Diese Organisation findet sich nicht nur in den Plänen, sondern wird auch im Laufe der Bevölkerung neuer Viertel ständig überprüft. Bäume, Gras und Wasser sind Teil der architektonischen Komposition und tragen dazu bei, einen lebendigen und harmonischen Lebensrahmen zu schaffen.

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MAISON TYPE 4-J, PIERRE JEANNERET. 1956

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CHANDIGARH, DÉTAIL DE CONSTRUCTION D’UNE HABITATION FAMIGLIAL

Als sich Pierre Jeanneret mit dem Projekt des Gandhi Memorial in Chandigarh betraut sieht, gelingt es ihm, dieses Werk mit Takt und Überzeugung zu gestalten. Das Gandhi Bawan ist zugleich ein Zeugnis des grossen Mannes und ein Mittelpunkt in bezug auf alle Weltreligionen. Diese „bewohnte Skulptur“ erhebt sich in der Mitte einer Wasserfläche, Frieden und Gleichgewicht, Vergänglichkeit und Ewigkeit symbolisierend. In drei eng miteinander verbundenen Räumen befinden sich Versammlungs- und Studienstätten. Das Aufeinandertreffen von Winkel und Bogen, von Kompaktem und Aufgelockertem formt eine weit über einfache plastische Virtuosität hinaus beherrschte Gesamtheit, um einen symbolisch erweiterten Inhalt darzustellen. Nichts wurde dem Zufall überlassen, und dennoch ist die Komposition von einer totalen formellen Freiheit. Pierre Jeanneret ist sowohl Architekt und Städtebaudirektor des Staates Pandschab als auch Direktor der Architekturschule von Chandigarh und aktiver Architekt. So viele auf sich vereinte Aufgaben hindern ihn nicht daran, seinen zahlreichen Besuchern zur Verfügung zu stehen. Sein positiver Einfluss auf viele Studenten ist offensichtlich. Seine Erfindungsfreude verleitet ihn dazu, Boote zu entwerfen, die er auf dem Chandigarh-See benutzt. Seine aus rohem Holz, Bambus, geflochtenen Matten, aus Getreidekörben und Betonarmierungen gefertigten Möbel bleiben erstaunliche Schöpfungen, deren Preis auch für die ärmsten Familien erschwinglich ist. Er stellt sie in seiner Wohnung auf und bietet sie denen an, die ihre Schönheit erfassen. Wollte man den schöpferischen Gang Pierre Jeannerets in wenigen Worten zusammenfassen, so könnte man sagen: Einfachheit, Sparsamkeit, Schönheit und Wahrheit.

Gilles Barbey

 

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© Leo Finotti

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In 1951, Pierre Jeanneret departs for India, where he resides until 1965. The work he would accomplish there over the span of fifteen years, despite the difficulties and the climate, is the best proof of his strong personality. In his correspondence with his friends, he constantly reiterates his wonder at the purest aspects of northern India’s civilisation: the nobility of human contact, the beauty of nature, the richness of invention of traditional crafts. Pierre Jeanneret’s architecture will henceforth fit into the local context as a set of judicious answers to eternal problems. There is no architecture yet, and yet architecture is everywhere, in the dried mud huts of the natives, in the construction of the carts, in the interior of the dwellings where their inhabitants live on the ground, using equipment that is basic but totally integrated into the setting. Jeanneret enters these dwellings, noting the way in which the women of the Punjab attend to their domestic duties, having supports at hand for all their gestures.

The climate remains the essential concern of Pierre Jeanneret. Every aspect of life is indissolubly linked to it. The verandas and porticos in front of the new houses are built with respect to a material with limited possibilities and yet constantly renewed. The friable clay brick provides Pierre Jeanneret with sculptural possibilities from which he will be able to draw powerful effects. By prolonging the roof outside over the limits of the construction, Pierre Jeanneret creates an area of rest and diversion between the interior and exterior. The shade and coolness are appropriate to the rigours of the midday sun. The transverse ventilation is employed in such a way as to ensure well-being. This same concern for solutions made of simplicity and economy is developed more than ever by Pierre Jeanneret throughout his activity in India. One surprising aspect for Pierre Jeanneret is the absence of mechanisation on construction sites. After having struggled in Europe to find systems that reduce the need for manpower, and consequently the cost, he is suddenly confronted with the need to make use of a large workforce for jobs that machines could have done. Thus, in front of the constructions in execution, gigantic wooden scaffoldings constitute a succession of platforms and ramps where teams of workers station, passing from hand to hand the materials, forming a continuous chain. The sight of these construction sites, with groups of human beings distributed on all levels, is probably what would ignite in Pierre Jeanneret the desire to search for scale that he respects even in his most monumental achievements.

Pierre Jeanneret executes with the means available on site the work of Le Corbusier in Chandigarh, the Capitol, the High Court, the Palace of Assembly and the secretariat building. Le Corbusier only spends a few days a year in India yet the correspondence exchanged with Pierre Jeanneret clearly shows the common enthusiasm and the mutual esteem that unites the two architects. If Le Corbusier’s work in India gives the impression of total ease and great spontaneity, it should not be forgotten that it is achieved through hard work, of which Pierre Jeanneret is the protagonist.

Jeanneret gained the friendship and trust of Nehru and the members of the government, who saw in him a true ally. Work flowed into his agency and it is difficult to understand today how he was able to achieve all that he undertook in such a short time. For his work is of such abundance that it does not seem to measure up to a single man’s doing, however well surrounded he may be. There is never a manifestation of breathlessness in the undertaking of a task. The contribution is constantly renewed.

The dwellings built by Pierre Jeanneret in Chandigarh and its surrounding areas house all categories of the population. Wherever the construction may be, one finds the same concern for a framework that highlights human dignity. It is for that reason that the dwelling of a minister or that of a humble worker, just as his own house, have in common a simplicity born of the desire to create only the essential. Comfort does not lie in the perfection of the equipment but in everything that contributes to the blossoming of the inhabitants: light, space, beauty and harmony of forms. It is this will manifested by Pierre Jeanneret that insures his work does not become obsolete and that it remains in line with the temporal notion of 

 

India, where Antiquity is much more adjoined than it is in the West at the time. This perennial architecture took a lot of imagination to be achieved so resolutely. Pierre Jeanneret is in turn in charge of the construction of numerous individual and collective dwellings, schools, university buildings, administrative centres... He also establishes urban plans based on the need to separate the pedestrian from the automobile, to create zones of intense activity alternating with recreational spaces, and to promote the well-being of each by guaranteeing their freedom of establishment and movement. This organisation is not only drawn on plans, but is verified on site, as the new districts progress and are populated. Trees, grass, and water are part of the architectural composition, contributing to a lively and harmonious urban setting.

When Pierre Jeanneret is entrusted with the project of the Gandhi Memorial in Chandigarh, he handles the work with talent and conviction. The Gandhi Bawan is both a testimony to the great man and a reference to all religions across the world. The “inhabited sculpture”, emerging in the middle of a body of water, symbolises peace and balance, soaring and eternity. It combines, in three intimately linked spaces, areas to meet and to study. The encounter of the angle and the curve, of the vacuous and the solid, constitute a masterful whole well beyond the simple plastic virtuosity that takes on a widened symbolic content. Nothing is left to chance and yet the composition is of total formal freedom. Pierre Jeanneret is simultaneously the chief architect and urban planner of the State of Punjab, as well as the director of the Chandigarh School of Architecture and an active architect.

The countless accumulated tasks do not deprive him of opportunities of making himself available to welcome those who seek him. His positive influence on many students is evident. His affinity for invention makes him design boats that he navigates on the lake of Chandigarh. His furniture made of timber, bamboo, braided matting, grain baskets and concrete frames remain astonishing creations whose cost remain within the reach of the poorest families. He displays them in his own home and offers them to those who understand their beauty. If one had to sum up Pierre Jeanneret’s creative approach in a few words, one could say: simplicity, economy, beauty and truth.

Gilles Barbey