Architecture Suisse

Landesausstellung. Lausanne, 1964

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Von der schweizerischen Landesausstellung Lausanne 1964

Im Rahmen des 60-jährigen Jubiläums der Schweizerischen Landesausstellung 1964 erschien es uns besonders interessant, die damals gesammelten und in Architecture Formes Fonctions 11 veröffentlichten Äußerungen des Chefarchitekten wiederzugeben S. 200.

Ist eine Ausstellung heute noch zeitgemäß? Diese Frage wurde mir wiederholt von Architekten gestellt. Es scheint mir aber, mit dieser Frage verzichtet man von vornherein auf eine Möglichkeit, sich in seiner Sprache, d.h. in derjenigen der Architektur auszudrücken. Eine Ausstellung ist ein Werk der Information und zugleich das einzige Unternehmen, das sich im wesentlichen durch das Mittel der Architektur, im weitesten Sinne des Wortes, ausdrücken kann. Als Informationsmittel ist eine Ausstellung demnach stets aktuell.

Es ist jedoch Sache des Architekten, sie neuartig—oder wie der Engländer sagt « up to date »—und fesselnd zu gestalten.

Es ging darum, in Lausanne die VI. Landesausstellung zu schaffen; traditionsgemäß übernimmt in der Schweiz die private Initiative mit der Unterstützung des ganzen Landes die Schaffung eines Werkes, das dem Volk erlauben soll, sich seiner Entwicklung bewußt zu werden und Einkehr zu halten. Da der Bürger in einer direkten Demokratie berufen ist, sich über die großen Probleme seines Landes auszusprechen, sollte er auch darüber Bescheid wissen. Es geht also darum, dem Besucher das wahre Gesicht der Schweiz zu zeigen, damit er aus der Gegenwart die Grundlinien erkennen kann, über die er in naher Zukunft zu entscheiden haben wird.

Aus diesen Gründen strebten wir nach  einer möglichst wahrheitsgetreuen und objektiven Darstellung der zu behandelnden Probleme, unter Vermeidung von Bluff und Propaganda. Jeder einzelne hat seinen eigenen Wahrheitsbegriff; in einer Ausstellung jedoch, die als Spiegelbild des Landes gedacht ist, ging es um die Suche nach dem Ausdruck, der dem von der Gemeinschaft empfundenen Begriff des Wahren am nächsten kam.

Ein architektonisches Werk ist das Ergebnis einer strengen Disziplin, einer Begrenzung in der Suche nach dem Absoluten, das jeden Kompromiß ausschließt. Nun ist aber eine Ausstellung, wie sie uns vorschwebte, das Ergebnis einer gemeinsamen Aussprache, die Suche nach einem Kompromiß, der den Einheitswillen unseres Volkes repräsentiert.

Scheinbar befanden wir uns in dem Dilemma, zwei gänzlich entgegengesetzte Auffassungen in Einklang zu bringen und zwar die des Kompromisses und die des Absoluten. Die Lösung ergab sich einerseits in der Annahme eines Programms, das aus der Diskussion aller Beteiligten hervorgegangen war sowie andererseits indem man dem Architekten die gesamte Befugnis in allen Fragen übergab, die mit den Ausdrucksmitteln in Beziehung stehen. Der Architekt hatte seit Beginn an der Ausarbeitung der darzustellenden Themen teilgenommen und sollte dann auch nicht seiner eigenen Meinung Ausdruck verleihen, sondern sich freiwillig der Auffassung der Gemeinschaft, der er angehörte, unterordnen und diese sodann in aller Freiheit zur Darstellung bringen.

Dadurch entstanden bei der Organisation der Landesausstellung zwei Arten von Disziplinen : — diejenigen der Architekten, die sich in der Suche nach einem Programm einem Gemeinschaftswillen unterstellten — diejenige der Aussteller, d.h. der gesamten Gemeinschaft, deren Probleme die Architekten auszudrücken hatten, wobei die Aussteller den Willen des mit Ausdrucksweise und Gestaltung betrauten Architekten achteten.

Die Diskussionen waren oft lang und leidenschaftlich, aber der Wunsch nach Übereinstimmung im Streben nach einem hochgesteckten Ziel gab stets den Ausschlag.

Man kann behaupten, daß eine Ausstellung nur einen Wert hat, wenn sie gut und wenn sie «wahrhaftig» ist — in unserm Fall, wenn sie wahrer Ausdruck der schweiserischen Gesamtheit ist.

Im Streben nach Qualität konnte die bemühende Einstellung, « wer zahlt, befiehlt », übergangen werden. Durch das Verständnis, das die Aussteller den Problemen der Architekten entgegenbrachten, haben sie, welche die Kosten des Innenausbaus bestritten, in hohem Maße zum Gelingen der Ausstellung beigetragen.

Die Landesausstellung sollte die Themen behandeln, die das ganze Land berühren und somit eine thematische Schau sein.

Was ist nun aber eine thematische Ausstellung? Jede Ausstellung hat ein Thema, besonders die sogenannten Fachausstellungen. Die letzteren beantworten vor allem die Frage «Wie»? Ein «Automobilsalon » zum Beispiel gibt eine klare Antwort auf die Frage «wie ist ein Automobil?», sagt aber nichts aus über das Problem «weshalb gibt es Automobile?» Wir wollten das Bedürfnis nach einer Standortbestimmung näher beleuchten, die Frage nach dem «warum» beantworten, im Bestreben, das Informationsbedürfnis des Bürgers über Wesen und Wirken des Landes zu befriedigen.

Dieses hochgesteckte Ziel war von vornherein mit der Wahrung geschäftlicher Interessen unvereinbar, die oft nicht dem wirklichen Interesse für eine Sache entsprechen.

In einer derart aufgefaßten Ausstellung konnten die Gebäude nicht Selbstzweck sein; sie hatten allein Stütze und Hülle des Ausstellungsgutes zu sein und nach Möglichkeit dem Verständnis der behandelten Themen entgegenzukommen. Solche Bauten können aber erst entworfen werden, wenn die Darstellung des Inhalts in den großen Zügen festgelegt ist. Sie unterscheiden sich demnach vollständig von den Ausstellungshallen, die der Dekorateur erst nach Fertigstellung der Rohbauten seinen Bedürfnissen gemäß ausgestaltet. Ich bin nicht der einzige, der diese Auffassung für überlebt hält. Das Experiment von Lausanne, bei dem der Architekt vom ersten Tage an mit den Ausstellern zusammen an der Ausarbeitung der Programme mitwikte, erscheint mir auch als die einzig richtige Lösung. Daraus ergibt es sich, daß ein solcherart vorbestimmtes Gebäude nur temporär sein kann, ist doch sein Zweck an die Dauer der Veranstaltung gebunden. Wirtschaftliche Überlegungen widersetzten sich der vollständigen Vernichtung der investierten Mittel, weshalb denn auch nach technischen Möglichkeiten gesucht wurde, welche die Zerlegung und Wiederverwendung der Bauten, eventuell auch in anderer Form erlaubten. Aus diesen Gründen wurde schließlich dem System der Vorfabrikation der Vorzug gegeben. Es wurde nach Verwendungen neuer Baustoffe sowie nach neuen Verfahren für herkömmliche Baustoffe geforscht.

Man verzichtete auf kleine, aneinandergereihte Pavillons, um sie nach einem gemeinsamen Thema im sogenannten « Mehrzellenbau » in größeren Elementen zusammenzufassen, die den Weg zu bedeutenden, architektonischen Kompositionen öffneten.

Diese Gruppierung sowie die Wahl der Baustoffe erlaubte den Architekten, den Themen gemäße Stimmungen zu schaffen, die den Besucher gefangen nehmen, bevor er noch mit dem eigentlichen Ausstellungsgut in Berührung kommt. Darüber hinaus gestatteten die verschiedenen Zellen des Vielzellenbaues, welcher die früher üblichen Pavillons ersetzte, ein gemeinsames Thema aus verschiedenen Gesichtswinkeln zu beleuchten.

Es stehen zwei technische Ausdrucksmöglichkeiten zur Wahl. Stellt man interessante Gegenstände als solche aus, so genügt es, sie richtig in die Architektur einzugliedern, um eine erregende Stimmung zu schaffen sowie einen «poetischen» Ausdruck zu erreichen. Ebenso ist es möglich, Gedanken durch Kunstwerke auszudrücken, die, in den entsprechenden architektonischen Zusammenhang gesetzt zum Ausstellungsobjekt werden. In diesem Fall handelt es sich um die sogenannten statischen «Schauspiele », in denen sich die Architektur voll entfalten kann. Wenn jedoch in erster Linie die geistige Teilnahme des Besuchers gefordert wird, ist es folglich nötig, das

Interesse des Publikums mit Hilfe des Schauspiels in all seinen dynamischen Formen zu erwecken. Auch hier spielte die Automation eine bedeutende Rolle, ermöglichte sie doch die Entwicklung neuer Verfahren, wie sie z.B. für das Konzert für Büromaschinen, die Polyvision usw. verwendet wurden. Die Ausstellung von Lausanne stellt eine gewollte Aufeinanderfolge dieser beiden Darstellungsformen dar. Eine Ausstellung, die dieses Namens würdig ist, soll Hinweis und Anregung bei der Suche nach Neuem auf allen Gebieten sein. Dies gilt ebenfalls für die Transportmittel. Das Telekanapee mit seinen sich drehenden Bahnhöfen ist ein vollkommen gelungenes Beispiel dieser Bestrebungen.

Wer hat die Ausstellung gebaut? Nicht einige Universalgenies, sondern Arbeitsgruppen. Der Geist, der sie belebte, drückte sich in der Suche nach Qualität, vor allem aber in der gegenseitigen Achtung in einer frei gewählten Gemeinschaft aus. Könnte man darin nicht einen besseren Rahmen für die Architektur von morgen sehen?

A. Camenzind.