Le Corbusier ist der erste französische Architekt, den man zu Lebzeiten wie einen Star verehrt hat und der durch die Geschichte ebenso zum Star gemacht worden ist. Das kommt nicht von ungefähr. Schon von Jugend an verstand es Le Corbusier, strikte Regeln für das Starentum in der Architektur zu erfinden und anzuwenden: Hier sind die zehn Gebote, wie sie heute noch gültig sind: 1. Wähle einen «Lehrer» und mache dir seine Regeln zu eigen. Dieser Lehrer muss als eine Kapazität erster Ordnung gelten. Befreie dich von der Lehre des «Lehrers», sobald du dich sicher genug fühlst, um auf eigenen Füssen zu stehen, und zögere nicht, ihm im Lauf der Jahre zu widersprechen. 2. Schreibe in einem aggressiven, aber poetischen Stil, um eine umwerfende Botschaft vermitteln zu können, anstatt innerhalb eines logischen Systems zu argumentieren. 3. Erhärte deine Aussagen mit Architekturdarstellungen oder besser mit architektonischen Manifesten, die den Medien als visuelle Bezugspunkte dienen. 4. Lege dir sobald wie möglich ein unveränderliches Äusseres zu, das du mit stark typisierten Accessoires variieren kannst (Brille, Krawatte, usw.). 5. Brauche und missbrauche die Provokation an jedem Ort und in jeder Lage. 6. Verkehre nur mit den Reichen und Mächtigen (Industrielle, Journalisten, Minister, usw.). 7. Pflege bei der Arbeit Kontakte zu einigen namhaften Künstlern der Avantgarde. 8. Reise ständig in der Welt herum. 9. Halte dich von jeder Gruppe fern, begnüge dich mit Lippenbekenntnissen und schliesse dich einer Bewegung nur vorübergehend und als Guru an. 10. Vergiss das Geld und zeige, dass du dich von materiellen Dingen gelöst hast. Wenn du gesund bist, hart arbeitest und diese zehn Gebote beachtest, kannst du ein Star werden. Aber du musst es auch bleiben, und dafür braucht es eine geistige Dimension, es braucht eine Schöpfungskraft, die dich von innen heraus verzehrt. Du bist kein Mensch mehr, sondern eine lebendige Fackel. Du setzest dich dem Hass, dem Neid und dem Misserfolg aus. Für dich gibt es nur noch das Leiden, das von seltenen Glücksgefühlen unterbrochen wird. Zu Lebzeiten wirst du angefallen, kaputt gemacht, abgelehnt und abgeschoben, und man hat dich vergessen, sobald der Sarg geschlossen worden ist. Du musst wiedergeboren werden und kannst es in der Art von Le Corbusier erst dann werden, wenn du während Jahren des Kämpfens und des Zweifelns von dir verlangt hast, dass du dich selber nie kopierst. Mag dein Grab dann noch so bescheiden aussehen, die Architekturgeschichte wird stolz auf dich sein, wie sie es auf Le Corbusier für alle Zeiten ist. Claude Parent, Architekt, Paris