Architecture Suisse

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Die Betagten in der modernen Gesellschaft

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Obwohl wir in dieser gleichen Ausgabe zwei klassische Beispiele über Heime für alte Leute publizieren, könnten wir uns vorstellen, dass unsere Leser an der kritischen Überlegung, welche das Atelier Cité wahrend seiner Projekterstellung für das Gesundheitsfürsorge-Institut «Les Baumettes» (Etablissement médico-social, EMS) in Renens (siehe Nr. 73, AS 1986) ausgearbeitet hatte, interessiert sind. Die Auswirkungen der Beziehungen Platz/Mensch sind ausserst wichtig und es wäre wünschenswert, wenn im Falle des EMS Studien über dieses Thema unternommen würden. Dies umsomehrda bis heute sehr verschiedene Typologien erstellt wurden. Um diese Überlegung zu bereichern, veröffentlichen wir hier auf diesen Seiten einen Auszug des Projektes, welches das Atelier 5 für das Altersheim in Brugg (1. Wettbewerbspreis) ausgearbeitet hatte. In diesem Fall wurde die Studie der Zimmer sehr eingehend analysiert, die Zusammenstellung Zimmer-Studio entspricht eher einer Habitats- als einer Heim-Logik und der doppelte interne Verteilerbereich (horizontal und vertikal) ist sehr vielseitig. Die Redaktion

«Das Wirtschftswachstum, das wir uns gewünscht haben und für das wir arbeiten, schl/esst die Betagten total aus, undzwarwegen der extremen sozialen Mobilität, der immer grösserwerdenden Schnelligkeit im sozialen Bereich und der hohen räumlichen und zeitlichen Konzentration im Alltag. Bei unseren täglichen Gewohnheiten eng mit hochbetagten Menschen zusammenzuleben hiesse, unsere kollektiven Entscheidungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Die schnelle Zunahme der Alterseinrichtungen (oderAltersheime) erlaubt es uns, an diesen Entscheidungen unbesehen festzuhalten. Um so besser, aber Vorsicht, ein Erwachsener, der heute im aktiven Erwerbsleben steht, ist eines Tages vielleicht auch ein alter Mensch und wird ebenso abgeschoben werden. Er müsste schon in der Freizeit seines aktiven Berufslebens einige Altersheime besuchen, um zu wissen, wo sein Lebensschiff einmal unweigerlich stranden wird1. Dieses Zitat umreisst, was für uns der soziale Aspekt des Problems ist. Es geht hier nicht darum, unsere Kritik auf dieser allgemeinen Ebene anzubringen. Wird sind weder Altersforscher noch Theoretiker oder Alterssoziologen, sondern Architekten. Obwohl die wichtigsten Punkte der Kritik an den Lebensbedingungen im folgenden ebenfalls enthalten sein werden, möchten wir uns vor allem auf den räumlichen Aspekt konzentrieren. Dieser hat soziale Auswirkungen, an denen die Architektur nicht unbeteiligt ist. Unter diesem Gesichtspunkt besteht das Phänomen des Ausschliessens und Absonderns der Betagten auf verschiedenen Ebenen : - in derStrukturderWohnbauten; - in den für die Alterseinrichtungen geschaffenen «Zonen»; - in den Innenräumen dieser Einrichtungen; - in der städtebaulichen (oder sogar ländlichen) Struktur allgemein. Betreffend den letzten Aspekt möchten wir nur darauf hinweisen, dass die masslose, bloss auf den Konsum ausgerichtete Industrialisierung zur Zerstörung der Städte (und auch des Landes) geführt hat, obwohl die Stadt allen, vor allem den Betagten, ein sozial ausgeglichenes Leben bieten könnte. Man hat gesehen, wie sich die Grundelemente der Stadt wie Quartiere, Strassen und Plätze, die die Mischung von Menschen und Aktivitäten gefördert hatten, aufgelöst haben. Der Städtebau ist unzusammenhängend geworden, die Funkionen sind getrennt und die städtischen Räume spezifiziert worden, und zwar rein nach den Kriterien der Rentabilität, ob es sich nun um eigentliche Marktinteressen oder um Verkehrskonzepte mit eindeutiger Bevorzugung der Autofahrer handelte (heute weiss jedermann, dass Verkehrsfluss und Parking die beiden heiligen Kühe des offiziellen Städtebaus sind). Die Unsicherheit und Beunruhigung gegenüber der Veränderung der Zerstörung der Stadt-, gegenüber der Autoinvasion und der dadurch verursachten Verschmutzung, die Gleichgültigkeit der aktiven Stadtbevölkerung und die Schwierigkeit, zu den verschiedenen Einrichtungen zu gelangen (wenn man nicht motorisiert ist), werden von den Betagten ebenso empfunden wie viele andere Dinge, die dazu beitragen, sie definitiv vom Leben in der Stadt auszuschliessen.

Das konventionelle Altersheim oder « Maison de retraite » Diese Einrichtung gleicht einer hotelähnlichen Anhäufung von Zimmern, die oft gemeinsam genutzt werden und jede Individualität ausschliessen.

Chambre /Zimmer Cuisine/Küche Repas / Mahlzeit Buanderie/ Waschraum Séjour ! Aufenthaltsraum Personnel/Personal Direction, contrôle/Direktion, Empfang

Die Zimmer liegen in militärischer Ordnung auf beiden Seiten der Korridore in den Obergeschossen, während im Erd- und Untergeschoss die Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht sind : Hat man im Erdgeschoss einmal die Direktion und Kontrollstelle passiert, kommt man meistens zum Speisesaal, zum Aufenthaltsraum und manchmal zur Küche; im Untergeschoss liegen die Waschküche, die Personalräume und manchmal die Küche. Die Funktionentrennung und die starre Zweckbestimmung der Raume, die sich daraus ergeben, begünstigen die Kontrolle der Pensionäre durch die Verwaltung. Diesen wird dadurch jede Autonomie weggenommen (in ihren Beziehungen, ihren täglichen Aktivitäten wie auch in ihren Bewegungen innerhalb und ausserhalb des Gebäudes).

Gegenwärtig besteht die Tendenz, dass dieses Hotelkonzept rationalisiert wird und ein medizinisches Konzept ergibt:

Dem Korridor, an dem die Zimmer liegen, werden medizinische Raume aufgepfropft (Kranken- und Pflegezimmer, Bader, Apotheke usw.), die ihn in einen Ort der medizinischen Kontrolle verwandeln; aus Gründen der medizinischen Effizienz (Verkürzung der Wege) tendiert man sogar dazu, für die Betreuung den Erschliessungsraum für die Zimmer in eine Verteilerstation mit zentralem Lift umzuformen. In den Geschossen mit den Versorgungsräumen werden manchmal zugunsten einer rationellen Verwaltung attraktive oder belebende Einrichtungen wie die Küche und die Waschküche aufgehoben, stattdessen nutzt man ein zentrales Versorgungssystem für mehrere Betriebe. Aktive Leute, Geräusche und Gerüche verschwinden; dafür entstehen neue Funktionen wie die Ergotherapie, die Physiotherapie und die Hydrotherapie, was den medizinischen Charakter noch verstärkt. Um die Stille zu unterbrechen, lasst man immer häufiger einen diplomierten Animateur kommen. Es entsteht eine deutliche Absonderung der Pensionäre vom Personal.

Aus den Zimmern werden Minimalraume, die man nicht mehr zu verlassen braucht: Man integriert dort die sanitären Einrichtungen. Ob 4, 3, 2 oder 1 Person das Zimmer belegen, jeder private Raum ist verschwunden : Man kann sich nur noch im Bett aufhalten. Wenn die Zimmertür geöffnet wird, reicht sie bis zum ersten Bett, und die Pflegerin erfasst den Raum mit einem Blick: Jede Intimität ist unmöglich.

Die Pflegeeinheit (eine Bezeichnung, bei der sich jeder Kommentar erübrigt) wird für die Gruppierung der Pensionäre zur Norm.

Infirmière /Krankenschwester Physiothérapie /Physiotherapie Hydrothérapie / Hydrotherapie Ergothérapie/Ergotherapie Nettoyage ! Putzraum Unité de soins /Pflegeeinheit Chambre/Zimmer

Die medizinische Rationalisierung hat zur Folge, dass die Betagten sortiert und klassifiziert werden: den Invaliden und Chronisch-Kranken oder«Cp»am meisten medizinische Einrichtungen, denen, die am wenigsten abhängig sind, den «Dp», die rationellsten Betreuungssysteme (Pflege- und Mahlzeitendienst zu Flause, Spitalbesuch tagsüber, Bildung von Sektoren usw.), die die Absonderung ebensowenig aufheben. Mit den Einrichtungen und Dienstleistungen für die Betagten hat man deren gesellschaftlichen Tod nicht verhindert. Zu beachten ist, dass durch das kollektive Tragen des Gesundheitswesens das Alter zu einer medizinischen Kategorie geworden ist.

Die Umsiedlung in die Peripherie Die Altersasyle oder Altersheime und die neusten Entwicklungen, die medizinisch-sozialen Einrichtungen, sind als Orte für den Lebensabend gedacht, wohin Betagte von der städtischen FHektik in einen ruhigen, abgeschiedenen Park gebracht werden. Diese Bedingungen sind heute nur in peripheren oder vom sozialen Standpunkt aus gesehen toten Zonen gegeben. Abgesehen von scheinheiligen ökologischen Überlegungen, wonach für die Betagten ein friedlicher Rahmen für den Lebensabend zu schaffen sei, ist das Alter gesellschatlich gesehen der Anfang des Nichtlebens. Es ist nicht mehr produktiv, sein Platz ist also in der«Natur», dem Ort der Geschichtslosigkeit. Auf einer weniger ideologischen Ebene ist anzumerken, dass für die unrentablen Einrichtungen billiges Land gesucht wird. Man findet es nur dort, wo die Nachfrage schwach ist, das heisst in einiger Distanz zu den Stadtzentren, in Zonen mit einer schlechten Infrastruktur; deshalb ist es oft schwer zugänglich. Diese Art der Standortwahl-die sich beiden meisten Institutionen für Randgruppen (geistig und körperlich Behinderte, Alkoholiker, Drogenabhängige usw.) feststellen lässt-verstärkt zusammen mit der inneren Struktur der Altersheime den Ausschluss der Betagten noch.

Die Absonderung in der Wohnstruktur Die Entwicklung der Familie hat wegen der heutigen Produktivität zum Ausschluss des dritten Lebensalters geführt; die Kleinfamilie von heute als Basis für die Produktion von Arbeitskräften hat nur noch Leute hervorzubringen, die nie mehr produktiv sein werden, Menschen, deren Wissen durch den beschleunigten Fortschritt auf dem Gebiet der Produktion und des Konsums überholt ist. Kulturell gesehen stellen die Betagten in der Gesellschaftsstruktur nur noch eine Belastung dar, einen Grund für ein schlechtes Gewissen (man kann sie doch nicht einfach umbringen I). Deshalb braucht es Spezialisten, die sich um sie kümmern. Die räumlichen Strukturen des Wohnens, die sich daraus ergeben, ermöglichen den Betagten tatsächlich keine Eigenständigkeit mehr. Man kann es betrachten, wie man will, sei es - die innere Konzeption der Wohnungen, die mehrheitlich auf dem Grundtyp der Kleinfamilie mit einem oder zwei Kindern basiert, - in Blocks das totale Fehlen von Wohnungen, die ausser für den produktiven Stadtbewohner auch für andere Personen geeignet sind, - die Knappheit bei den Wohnungserschliessungen, - das immer häufigere Fehlen direkter Wohnungserweiterungen für Verkauf und Handwerk zugunsten grosser Flächen, - das totale Fehlen von Einrichtungen im Gebäude, die Begegnungsmöglichkeiten schaffen und den Zusammenhalt zwischen den Bewohnern fördern, die vertikale Stapelung um ein minimales Treppenpodest mit Ausgang zum Lift ist die Regel ! Auf diese Weise ermöglichen weder Raum noch Zeit irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen denjenigen, die wohnen und schuften, und denen, die abgeschoben worden sind. Atelier Cité M. Audergon, M. Vionnet, S. Wintsch Architectes, Lausanne