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Musik und Architektur

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Zum Jahresbeginn erhielten wir vom Architekten Philippe Joye zu unserer Freude als Glückwunschkarte eine Gedenkschrift mit dem Titel «Musik und Architektur», verfasst von Jean-Michel Hayoz, dem Direktor des Konservatoriums von Freibürg. Eine Tonbandkassette mit verschiedenen Musikbeispielen von hoher Qualität ergänzte diese Gedenkschrift. Die Lektüre dieses Textes hat uns begeistert. Mit Philippe Joye's Einverständnis haben wirJean-Michel Hayoz um eine Zusammenfassung seines Textes gebeten. Es freut uns, ihnen diesen Text in dieser Nummer vorzustellen. Unser Freund Otto Glaus, Architekt in Zürich, hat sich bereit erklärt aus der Sicht eines Architekten zu diesem Thema zu schreiben. Wir danken Philippe Joye, Jean-Michel Hayoz und Otto Glaus für ihre wertvolle Mithilfe. A. K.

Musik und Architektur Jean-Michel HAYOZ stellt sich die Aufgabe, dem Architekten die Beziehung der musikalischen Komposition zur Architektur verständlich zu machen. Im Anhören der vielen Werke grosser Meister und dem Studium der kurz gefassten Kommentare wird jedem Hörenden die Grösse und Schwierigkeit dieser Aufgabe bewusst. Musik ist Architektur, ist Aufbau und Komposition, ist Spiel und Realität. Aber in welchem Sinne ist Architektur Musik ? Wir können wohl von Beidem nur in übertragenem Sinne sprechen. Und doch ist die Verwandtschaft sehr real. Ich möchte versuchen, den Weg zu dieser Realität zu finden. Im fünften Jahrhundert vor Chr. stellte sich der Philosoph und Mathematiker Pythagoras die Frage: «Wenn die mathematischen und geometrischen Proportionen real und existent sind, warum sollten sie nicht in allen Dingen, die Gott geschaffen hat, enthalten sein - also auch in der Welt der Töne ? » Die Pythagoraer entdeckten die harmonikalen Gesetze. Ihr Hilfsmittel war das Monochord, ein einfaches Saiteninstrument mit 7 Saiten gleicher Lange, auf denen sie die verschiedenen, rein metrischen Verhältnisse fixierten und anhörten. Die tief im mythologischen Urbereich wurzelnden musikalischen Harmonien dienten zur Untersuchung der Analogien verschiedener Ton-Intervalle und Massverhältnisse. So entdeckten sie die einfachen symphonischen Verhältnisse, deren Genauigkeit unser Ohr fehlerfrei feststellen kann und deren Massverhältnisse linear und kubisch unser Auge als angenehm und edel erkennt. Wir benennen heute bekanntlich in der Musik und in der Architektur die von den Pythagoraern erkannten Proportionen folgendermassen: 1:1 - Prime, 1:2 - Oktave, 2:3 - Quinte, 3:4 - Quarte, 3:5 - grosse Sexte, 4:5 - grosse Terz, 5:6 - kleine Terz, 5:8 - kleine Sexte, usw. Dass alle diese Verhältnisse in beliebigen linearen Massen dargestellt werden, und somit in der Architektur Anwendung finden können, ist offensichtlich. Für den Musiker gehören diese Intervallbezeichnungen zum täglichen «Einmaleins». Dass aberdie gleichen Intervallwerte zu den schönsten Proportionen der berühmtesten Bauwerke von der Antike bis in die Neuzeit gehören, ist heute wenig bekannt. Die moderne Architektur ist einem grossen Irrtum verfallen. Die im 16. Jhh. entdeckten, rein geometrischen Massverhältnisse des sog. «goldenen Schnittes»(Sectio aurea) a:b=b:a+bergeben ausschliesslich Werte mit irrationalen Zahlen, wogegen die gesamten harmonikalen Intervall-Werte aus ganzen, einfachen Zahlen und Verhältnissen bestehen. Die Griechen hatten nie mit irrationalen Proportionen gebaut. Die neuzeitliche Architektur glaubte an den «goldenen Schnitt». Aus unerfindlichen Gründen hat der in der Architektur wegen seinen Massverhältnissen nur sehr schwer verwendbare «goldene Schnitt» die Anwendung der harmonikalen Proportionen seit Anfang des 19. Jhh. fast vollständig verdrängt. Der«goldene Schnitt» wurde, vielleicht durch das früheste Schlagwort der Geschichte «Sectio aurea», fälschlicherweise zum Inbegriff der Harmonie. In der Musik allerdings kennen wir meines Wissens wederden Ausdruck«Sectio aurea», noch den «goldenen Schnitt». Was jedoch sowohl Musik wie Architektur im tiefsten Sinne gemeinsam haben, sind die Gesetze der Harmonik, und darin sind nicht nur Harmonie, resp. harmonische Verhältnisse enthalten, sondern die konsonanten (harmonischen) und dissonanten (disharmonischen) Verhältnisse dienen sowohl in der Musik wie in der Architektur der Erfüllung des Werkes. Die Harmonik ist nicht, wie heute oft angenommen wird, nur die Grundlehre der Musik. Die Harmonik ist die Wissenschaft über die Eigenart und Vielfalt jener Proportionsgesetze, die sowohl in der Natur (Gestirne, Atome, Moleküle, Kristalle, usw.) wie in der Musik 84 I

(Intervalle und Obertonreihe), wie im Menschen (genaues Gehör und sinnliche Empfindung) absolut identisch sind. Eigenartigerweise wurden diese Grundgesetze seit den Griechen, mit Ausnahme Kepplers im 17. Jhh., nicht mehr in ihrer Wesenheit erkannt, bis die modernste Neuzeit die Tiefe dieses Wissens neu entdeckte. Einstein sagt:«...die kosmische Religiosität liegt im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetze...» Und ein anderer weltberühmter Atomforscher, Werner Heisenberg sagt ...«Die Erkenntnis der Pythagoraer über die sinngebende Kraft der mathematischen Bedingtheit der Harmonie in den einfachen ganzen Zahlenverhaltnissen gehört zu den stärksten Impulsen der Weltgeschichte » Die pythagorische Erkenntnis der Verhaltnisgebundenheit - Natur Musik - Mensch, hatte die ganze griechische schöpferische Welt vom 5.-3. Jhh. v.Chr. weitestgehend bestimmt, und z.B. die ausserordentlich schöne proportionale Gesetzmassigkeit der griechischen Tempel geschaffen. Platon schrieb... «sie suchten die exakten Zahlen in den gehörten Zusammenklangen», und Aristoteles schrieb -«die Pythagoraer haben erkannt, dass die Eigenschaften und Verhältnisse (Intervalle) der musikalischen Harmonie auf genauen ganzen Zahlen beruhen...». Wie schon erwähnt, entwickelte sich unsere sog. «musikalische Harmonielehre» aus der Harmonik. Musik und Architektur sind also, so lange die exakten Gesetzmassigkeiten der Natur zur Geltung gelangen, zutiefst verwandt. Und wenn in der Architektur Grundthematik, Strukturentwicklung, sowie Spiel und Gesetz der Proportionen fundamentale Richtlinien sind, so glaube ich in jeder ernsthaften Musik die enge Verbundenheit zur Architektur erkennen zu können. Der ausserordentlich wertvolle Versuch von J.-M. Hayoz, in 26 musikalischen Werken die engen Beziehungen von Musik und Architektur aufzuzeigen, wird im Anhören zum tiefen Erlebnis. Die Gefahr des hilflosen Überwältigtseins liegt allerdings so nahe, dass dem musikalischen Laien der Zugang ins Einzelne sehr erschwert ist oder gar verwehrt bleibt. Man darf bei allem guten Willen und Suchen nicht vergessen, dass Architektur statische - und Musik immer dynamische Schöpfung ist. Die Verwandtschaft liegt also vor allem im geistigen Wertmasstab. Meinem Erlebnis entsprechend glaube ich, dass sich die Arbeit von J.-M. Hayoz doch eher an den Musikkenner, als an den Architekten wendet. Und gerade deshalb will es mir scheinen, dass es ein dringendes Bedürfnis wäre, den Versuch vermehrt zu wagen, dem Architekten die wesentliche Verwandtschaft zur Musik aufzuzeigen. Die Architektur befindet sich heute in einer Wissenslücke in allen Bereichen der Harmonie und Harmonik. Wenn also diese ausserordentlich schöne kleine Pionierarbeit Ansporn wäre, die gemeinsamen Gesetze von Architektur und Musik wieder zum Allgemeinbegriff werden zu lassen, dann wäre vielleicht ein möglicher Weg aus der heutigen Verwirrung in eine gute Zukunft der Architektur aufgetan. Otto Glaus, Dipl. Arch. BSA/SIA

Präludium Zuerst eine grundlegende Einsicht: Die Rechtfertigung der Musik kann nicht durch Bilder, Anekdoten, Anspielungen auf die Natur, nicht durch die Literatur und auch nicht-was uns betrifft-durch die Architektur geschehen. Nein, die Musik muss allem voran durch sich selbst bestehen : Sie berührt die Welt der Gefühle, der menschlichen Regungen, des Herzens, man «spürt» und «erlebt» sie; sie berührt uns, sie erregt und beschwingt uns, gemeinsam mit der Freude, derTraurigkeit, dem Vertrauen oder mit den dunkleren Gefühlen (Eifersucht, Wut), auch mit der Liebe. Aber all dies geschieht ohne Erklärung, ohne Kommentar, ohne Wörterbuch und ohne rationale Überlegung. Musik ist die Muttersprache der menschlichen Gefühle. Als Muttersprache versteht man sie, bevor man weiss, dass sie, wie jede Sprache, gesetzmässig aufgebaut ist. Der Musiker, ob Komponist oder Interpret, muss ihre Orthographie, ihre Syntax und ihren Wortschatz erlernen. Der Interpret muss den Aufbau eines Werkes kennen, um es, unter Berücksichtigung der Formen und gemäss seinem Stil, wiedergeben zu können. Es ist klar, die Komponisten sind die mehr oder weniger begabten Architekten ihrer Werke. (Man sieht, bereits macht sich die Architektur in der Musik bemerkbar.) All dies verhindert nicht-wie in jeder Sprache erlaubt-, dass die Musik bildlich, metaphorisch, gemäldehaft oder geschichtenerzählend sein kann, vorausgesetzt, sie ist als Musik bereits gut gelungen. Anders gesagt, muss die Musik selbstverständlich sein, ohne Erklärung oder Fussnote, aber die