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Gespräch zwischen Anatole du Fresne und Alfredo Fini

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Dieser Dialog zweier Mitglieder von «Atelier 5» ist erstmals in italienischer und englischer Sprache in der Nummer 40 der Zeitschrift «Spazio e Società» (Raum und Gesellschaft) vom Oktober-Dezember 1987 erschienen. Der entsprechende Text wurde bisher in französischer Sprache und in der Schweiz noch nicht veröffentlicht. Die Redaktion von Schweizer Architektur ist glücklich, ihren Lesern den Inhalt des Gesprächs bekanntgeben zu können, in welchem das Atelier 5 seine Position, unter den anderen Sternen am Himmel der Architektur, definiert.

Anatole du Fresne: Ich stelle mir vor dass wir uns einen Moment lang erinnern und darüber sprechen, wie es damals war, in der Anfangszeit des Atelier 5, was uns damals beschäftigt hat und was nicht, und dann darüber nachdenken, was uns heute beschäftigt im Zusammenhang mit unserem Beruf.

Alfredo Pini: Mir ist kürzlich im Zusammenhang mit dem 100jährigen Geburtstag von Le Corbusier - das war so eine Gelegenheit, mich zurückzubesinnen - bewusst geworden, dass es, neben den tatsächlichen, für jedermann erkennbaren Veränderungen, die Veränderungen deiner eigenen Person sind, die die Sicht der Dinge doch wesentlich beeinflussen. Damals, in der Anfangszeit des Atelier 5, waren wir zwanzig oder dreissig Jahre alt, heute sind wir fünfzig oder sechzig. Damals sind wir eingestiegen mit einem unheimlichen Willen, Dinge zu realisieren, mit viel Enthusiasmus und wenig, sehr wenig Wissen. Man war viel konzentrierter auf die eigenen Aufgaben, man war kaum zu verunsichern, enorm viel aggressiver, viel einseitiger und demzufolge letztlich wohl auch viel schlagkräftiger. Ist diese Anfangszeit aber einmal vorüber, dann musst du das Erfahrene ja in positive Kräfte umwandeln können, denn wenn Erfahrung bloss der Beschreibung deiner eigenen Existenz dienen würde, dann wäre sie im Grunde genommen nicht brauchbar. Du siehst, es ist also sehr schwierig, eine objektive Geschichte schreiben zu wollen; die eigene Entwicklung und die damit verbundene Verschiebung der Perspektive spielt eine viel zu grosse Rolle. Einzelne Situationen kann ich aus dem Zusammenhang herausnehmen und erzählen, aber darüber hinaus... Wenn ich nun über eines der Probleme sprechen soll, das mich heute im Zusammenhang mit dem Atelier 5 beschäftigt, dann wäre da einmal dasjenige der kürzlichen Erweiterung unseres Büros (er spricht von der Aufnahme neuer Partner im Jahr 19851. Mich beschäftigt da die Frage, ob es möglich ist, dass die jüngere Generation in unserem Büro die notwendige Stosskraft entwickelt, die sie aufgrund ihres Alters eigentlich entwickeln müsste, und ob wir, die Älteren, in der Lage sind, diese Stosskraft positiv aufzunehmen, um in Vermischung mit unserer eigenen Erfahrung etwas Brauchbares daraus zu machen. AdF: Wir kommen noch darauf zurück. Aber vorerst noch einmal zur Beschreibung der eigenen Geschichte. Sicher, eine objektive Geschichtsschreibung gibt es nicht. Aber was mich in letzter Zeit interessiert und vor allem auch intrigiert ist folgendes: Als ich zum Atelier 5 kam, das war 1960, war ich einundzwanzig. Da hat mich das Umfeld, das um uns herum war, in einem viel, viel geringeren Mass beschäftigt und irritiert als dies heute der Fall ist. Dies gilt nicht nur für meine ersten Jahre im Atelier 5, es gilt auch für die Zeit als ich dreissig oder fünfunddreissig war. Damals sah ich vor allem was wir selber gemacht hatten, versuchte einfach, unter allen Umständen die Ziele zu erreichen, die wir uns selber gesteckt hatten mit unseren Ideen und Projekten. Mir scheint heute, das ging nicht nur mir so, sondern auch allen andern in unserem Büro, und rückblickend habe ich das Gefühl, dass wir in dieser Naivität durchaus stark gewesen sind. In den letzten Jahren aber, scheint mir, ist eine Inflation von Informationen auf uns zugekommen; um uns herum findet ein Ausverkauf der Werte statt, der bei mir unter anderem das Gefühl aufkommen lässt, dass sich unser Beruf immer mehr zu einem Modemétier entwickelt. Ich frage mich nun, ob dies tatsächlich der Fall ist oder ob sich da nur meine Perspektive verschoben hat. Es irritiert mich einfach, wenn ich sehe, wie auch in unserem Büro die einseitige Ausrichtung auf eine ganz bestimmte Sprache der Architektur langsam abgelöst wird durch eine generelle Neugier. AP: Ich habe das Gefühl, wenn man in solchen Dingen nicht über ein sehr starkes Naturell verfügt, dann läuft man Gefahr, nach und nach zum Zuschauer zu werden. Das heisst, der unheimliche Wille Dinge zu machen, wird abgelöst durch ein Bedürfnis mehr zu wissen, sich besser zu informieren, vielleicht um besser kontrollieren zu können, vielleicht auch um nach aussen hin mehr

zu gelten oder um einfach durch ein Mehr an Wissen den Spass wieder zu gewinnen, der einem in der Routine etwas verloren gegangen ist. Deine intellektuelle Aggressivität verliert sich mit der Zeit zugunsten eines Informationsbedürfnisses. In dem Moment wo du mir gesagt hast, du würdest dich fragen, ob unser Beruf nicht mehr und mehr im Begriff sei, zu einem modischen Métier zu werden, ist mir klar geworden, dass der, der das macht was du modisch nennst, dies natürlich überhaupt nicht so empfindet. Er hat das Gefühl, er mache seine Arbeiten aus dem Inneren heraus. Wenn du mit einem Botta heute, was die Architektur an betrifft, von Mode reden würdest, er würde dich nicht verstehen. Und vielleicht war das, was wir in unserer Anfangszeit gemacht haben, für unsere Gegner oder für die älteren Skeptiker halt auch modisch. Wir haben's in unserem jugendlichen Übermut nur nicht bemerkt. AdF: Du hast sicher recht wenn du sagst, die Sicht der Dinge habe etwas zu tun mit dem eigenen Alter. Aber gleichzeitig muss ich dir sagen, dass ich gar keine Lust habe, vom Macher zum Betrachter zu werden; ich sehe da eine Schwächung. Zudem sehe ich die Tendenz, sich besser zu informieren, die Position des Betrachters einzunehmen statt die des Machers, nicht nur durch das eigene Alter bedingt, ich glaube da auch eine Strömung unserer Zeit zu erkennen. Als wir jünger waren, hatten wir gemeinsame Referenzpunkte, nicht nur in der Architektur, auch in der modernen Literatur, im Theater, in der Musik. Jeder oder fast jeder von uns kannte Joyce, kannte Beckett, kannte Ionesco. Man wollte dasselbe lesen, es verstehen, um sich gemeinsam über diese Dinge unterhalten zu können. Ganz ähnlich in der Architektur, man kannte nur wenig Namen, aber man wusste ganz genau, wovon man sprach. In der Architektur führt heute diese Lust sich zu informieren, zu einer Lust, dies alles noch einmal durchzuspielen, ohne vertieften Bezug zum Inhalt. Es wird zitiert, der eine zitiert Gropius, der andere Mendelssohn, der dritte Le Corbusier. Heute kommt einer mit der Semper-Kravatte und morgen mit der Schinkel-Hose. Wie du das übrigens in der Mode heute auch findest, man trägt die Hose vom Vater, den Mantel vom Grossvater... AP: ... eine der Möglichkeiten... AdF: ... Gab es aber in unserer Jugendzeit in dieser Art nicht. AP: ... Aber Nostalgie hat es schon immer gegeben. AdF: ... Ein Begriff, dessen Einführung oder Wiedereinführung nicht so lange zurückliegt. AP: ... Das geht mir alles viel zu schnell. Der Information kann ich mich einerseits kaum entziehen, anderseits frage ich mich, ob das Mehr an Information überhaupt aufgenommen wird. Früher hattest du drei Architekturzeitschriften, heute hast du zwanzig, dafür blätterst du sie nur noch durch. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser Informationsüberfluss tatsächlich zu einer Untergrabung des Selbstvertrauens führt. Denn ich glaube, auf irgend eine Weise schützt du dich gegen diesen Informationsüberfluss. Sicher, man kann sich fragen, ob es früher so viele Architekten gegeben hat, die ihre Fahne nach dem Wind gerichtet haben. Wenn ich sehe, wie gleichaltrige Kollegen Architektur machen, dann könnte man bei manchen meinen, sie hätten eine Verjüngungskur gemacht. Das haben sie natürlich nicht, sondern sie haben einfach mit dem Älterwerden noch etwas mitgenommen, das im Grunde nicht ihr eigenes ist. Vielleicht, weil schon das, was sie damals gemacht haben, nicht ihr eigenes gewesen ist. Wenn aber jemand ein wirklich ursprüngliches Bedürfnis hat, ein Métier zu betreiben, sei es nun die Schriftstellerei, die Malerei oder die Bildhauerei, und wenn er dieses Métier seriös betreibt, dann wird er wohl auch seiner Sprache treu bleiben, und dann ist er halt mal oben und mal unten, mal geschätzt und mal verachtet. Diesen Typus gibt es natürlich unter den Architekten auch. Und zu diesem Typus, der halt ein Leben lang versucht sich selber zu sein, möchten wir im Grunde doch gehören. Sicher, gegenüber so vielen verschiedenen modischen Erscheinungen fühle ich mich manchmal physisch unwohl, das irritiert mich alles in einem ähnlichen Masse wie mich damals die Architektur der fünfziger Jahre irritiert hatte. Ich spüre die genau gleichen Aversionen, kann aber eigentlich gar nicht so genau erklären, worin sie begründet sind. AdF: Wenn ich an die Kollegen denke, dann stelle ich mir auch manchmal die Frage, was suchen wir eigentlich, Isolation oder Fraternisierung. Denke ich zurück an die Anfangszeit des Atelier 5,

da hatten wir zum Beispiel mit unseren Wettbewerben einen Misserfolg nach einem andern. War das nur eine gewollte oder eine ungewollte Isolation? AP: Eine gewollte Isolation wohl kaum... doch vielleicht, durch unser Verhalten... AdF: Die negativen Folgen haben wir uns natürlich nicht gewünscht. Wir haben gehofft, dass man uns eines Tages verstehen wird. Aber dann gab es doch eine Zeit der Fraternisierung, wo man das Gefühl hatte, es gebe unter den Kollegen solche, die in der gleichen Richtung suchen würden. Und jetzt wieder, in den letzten Jahren, haben wir uns eher isoliert. Es gab doch eine Zeit, wo wir unsere Kollegen besser verstanden haben als heute? AP: Vielleicht war es eine Zeitlang einfach so, dass man sich auf der Ebene der Absichtserklärungen gefunden hat. Dann aber, als jeder seine Dinge gebaut hatte, merkte man halt, dass es wohl doch nicht das gleiche gewesen war, von dem man gesprochen hatte. Als wir dreissig waren und unsere Kollegen auch, da verfügte keiner über ein gebautes Werk, das man hätte vergleichen können. Man war also noch nicht so klar profiliert. Zwei, drei Bauten von uns, ein paar Bauten von den anderen, aber keine klaren Konturen. Wir waren natürlich mit einer ganzen Reihe von Leuten befreundet, mit Studenten zum Beispiel, die ihr Praktikum bei uns gemacht hatten, die also noch nicht gebaut hatten, worüber sie sprachen. Dass es nachher bei der Betrachtung ihrer Arbeiten zu einer leichten Entfremdung gekommen ist... das ist wohl schon so. Sie haben sich enthüllt, wir haben uns enthüllt, und jetzt merkt man, dass wir nicht gleich sind. Auch ein Phänomen, das mit dem Älterwerden zu tun hat. AdF: Aber diese Freunde oder ehemaligen Gleichgesinnten, haben sie nicht viel mehr den Modeströmen nachgegeben als wir? AP: Vielleicht waren sie ganz einfach mehr als wir den Strömungen unterworfen, weil diese durch neue, jüngere Leute in ihre Büros getragen worden sind. Der Architekt, der halt sein Werk von A bis Z unter gleichen Bedingungen erarbeiten kann, wie wir es können, der seine Projekte in einem immer oder fast immer gleichbleibenden Kreis entwickelt, ist doch wohl eher die Ausnahme. Du hast mir ja kürzlich ganz erstaunt erzählt, was dir Behnisch gesagt habe, dass er in seinem Büro immer wieder neue junge Leute um sich haben wolle, die nach Abschluss ihrer Arbeit wieder gehen würden, denn ihm sei es ein Greuel, sich eines Tages von lauter 65jährigen Leuten umgeben zu sehen. Das heisst, der «Meister» lässt seine Schüler frei arbeiten, lässt sich in seinem eigenen Büro quasi von gut gewillten Gleichgesinnten interpretieren. Bei deiner Erzählung sind mir eine ganze Reihe von Kollegen in den Sinn gekommen, lauter «Behnische». AdF: ... die die Welt mit anderen Augen sehen, weil sie andere Leute, jüngere, um sich haben. AP: Wir haben uns in unserer Zusammensetzung ja kaum verändert. Wir verbringen also seit mehr als 25 Jahren unsere Zeit zusammen und mir genügt das, mir reichen die Leute, die mit mir Zusammenarbeiten, du, ein Ralph, ein Denis. Ich habe bis jetzt eigentlich noch gar nie so genau darüber nachgedacht, aber es ist so. Ich merke das auch, wenn ich zum Beispiel im Rahmen einer Jury mit andern Kollegen zusammenkomme, wir sind in den Augen vieler ein sehr seltsamer Verein, der sich stark isoliert, der extreme Positionen einnimmt, eine Art moderne Reaktionäre, die sich den verschiedensten Einflüssen und Strömungen widersetzen. Weniger durchlässig als andere halt. Ich glaube, dies steht in einem klaren Zusammenhang mit unserer eigenen Gruppengeschichte. AdF: Glaub' ich auch. Wir haben den Ausdruck «moderne Reaktionäre» zwar bisher nie gebraucht, aber es scheint mir doch unsere Situation recht präzise zu beschreiben. AP: ... Der Bauer, der seine Meinung nur sehr langsam oder gar nicht ändert. AdF: ... Mit der eben noch recht speziellen Eigenart, dass wir uns ja nicht dem Neuen verschliessen, sondern der Wiederaufbereitung des Gehabten. Ich erinnere mich da ganz genau, als ich zum erstenmal einen Bau von Foster in Natura gesehen habe - Ipswich war es damals - da habe ich gedacht, ist denn das was wir machen, wirklich noch modern? Wir bauen da aus «Ton» und «Erde», wir mauern und verputzen, das was er da macht, das ist doch eigentlich modern. Die scheinbare Wiederentdeckung einer Geschichtsbezogenheit, das ist es doch, was uns auf den Wecker fällt. AP: Die Verlogenheit ist das eine, ein zunehmendes Fehlen der

Realitätsbezogenheit ist das andere. Wenn ich in einem Preisgericht sitze, dann scheint es mir oft, dass sich die Leute à tout prix selber betrügen wollen. Einfachste, realitätsbezogene Tatsachen werden übersehen, weil sie ganz einfach beim Verfolgen einer Idee im Wege sind. Ich, der ich ja eigentlich progressiver sein müsste als irgendein Gemeinderat, muss dann die Leute zurückrufen, muss ihnen sagen, was erzählt ihr denn da, ist es überhaupt wahr? Und plötzlich komme ich mir dann im Kreis von Leuten aus der Verwaltung geradezu als Hyperrealist vor, die andere als Phantasten, ungeordnet, mit einem Hang zum schizophrenen Verhalten. AdF: Da sehe ich aber doch ganz klare Parallelen zu der Atmosphäre, die gegenwärtig in unserem Métier herrscht. Mir kommt da zum Beispiel unser Projekt in den Sinn, das wir im Rahmen eines Wettbewerbs für ein neues Spital gemacht hatten, ein Haus, wie es uns schien, um die Bedürfnisse der Kranken herumgebaut, so wie wir uns diese eben vorgestellt haben. Solches wird nun aber, und das ist uns in letzter Zeit öfters passiert, als zu wenig beeindruckend gesehen. In Wirklichkeit passiert dann natürlich viel weniger als wenn man tatsächlich gebaut hätte, was wir vorgeschlagen haben. Der Hang zur Realitätsbezogenheit verbietet uns das Spektakuläre. AP: ... Was soll mir das Spektakuläre, ich versuche einfach Lebenserfahrung einzubringen. Wenn das nicht reicht... AdF: Aber du weisst, dass uns dieses Problem beschäftigt. Wenn du auf der einen Seite siehst, dass deine Bauten sich weit vom meisten abheben, das da so gebaut wird, und auf der andern Seite wirst du im Rahmen von Wettbewerben von scheinbar grösser Gedachtem überrundet... AP: Ja eben. Wir reden da halt nicht von der selben Sache, die Angemessenheit ist ganz offensichtlich im Moment schwer zu verkaufen. AdF: Das beschäftigt mich wirklich. Wenn du ein Projekt, eine einfache, angemessene Lösung vorbringst, bist du in der heutigen Wettbewerbsszene weg vom Fenster. Und wenn du dann schaust, was wirklich gebaut wird, dann merkst du, dass das alles Schaumschlägerei war. AP: Man will im Moment nicht die präzise Äusserung; du stehst todernst hinter der Aufgabe und wirst von einem Clown überrundet. AdF: Noch einmal: Meine Frage war, ob sich nicht die ganze Szenerie in unserem Métier gegenüber früher sehr stark verändert hat. Du hast dann eingeworfen, dass natürlich auch wir uns verändert haben, dass wir älter geworden sind, und dass sich dadurch auch unsere Perspektiven verändert haben. Wir seien, so meinst du, in einem gewissen Sinne auch vom engagierten Macher zum Zuschauer geworden. Ich komme da nicht so leicht darüber hinweg. Mir schneidet einfach die gegenwärtige Situation die Luft ab. Ich erinnere mich, vor 25 Jahren bin ich nach Paris gereist, um mir die grosse Corbu-Ausstellung anzuschauen. Ich war total begeistert, ich sah nur, was es dort zu sehen gab. Ich kannte gar nichts im Bereich der Architektur, über das ich mich hätte wirklich aufregen können; mich interessierte neben Corbusier nur das, was wir selber machten. Und jetzt, kürzlich, war ich wieder in Paris und zufällig gerade in zwei Architekturausstellungen. Eine im Institut français d'architecture, eine sehr schöne, aber letztlich von einem grösseren Publikum kaum beachtete Ausstellung von Maki, und kurz darauf eine Riesenausstellung von Hollein im Centre Pompidou, in der ich mich derart geärgert habe über den «Schmarren», der da ausgestellt war, geärgert in einem Masse, wie es mir wohl in meinen jungen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Und so frage ich mich nun einfach, ob ich mit meinen annähernd fünfzig Jahren langsam gehässig werde, oder ob sich das Klima in unserem Beruf nicht derart verändert hat, dass es langsam tatsächlich unerträglich wird. AP: Bei mir trifft das weniger zu als bei dir, scheint mir. Ich war zu Beginn unerträglich aggressiv, geradezu fanatisch, absolut kein Platz für andere Gedanken. Heute habe ich das Gefühl, ich würde meine Zeit verlieren, wenn ich mich noch über einen Hollein ärgern würde. AdF: Meine Meinung ist ja nicht, dass man sich in diese Wut hineinwühlen sollte. Aber wenn ich Ralph sehe, der aus der Gare d'Orsay kommt und sagt, das sei wohl der schlechteste Bau, den er überhaupt je gesehen habe, und ich weiss gleichzeitig, dass die Kritiker diesen Bau als glorioses Kunstwerk gefeiert haben, dann frage ich mich, ob eine solche Veränderung der Ansichten, der ganzen Szenerie nicht eines Tages einen Einfluss haben muss auf unser eigenes Schaffen. Wenn es einen Einfluss haben sollte in dem Sinne, dass wir unsere Arbeiten noch bescheidener, noch angemessener zu machen versuchen, dann ist alles bestens, dann 92.IV

habe ich meine Ruhe. Aber ich habe schon meine Bedenken. Wenn ich uns sehe im Wettbewerb mit andern Architekten, wenn ich sehe, dass sich das Publikum zu gewöhnen beginnt an eine marktschreierische Sprache, wenn ich sehe, wie heute in Deutschland - ich muss mich noch einmal über Hollein auslassen - von massgebenden Architekturkritikern gefordert wird, dass nun doch endlich dieses Frankfurter Museum für moderne Kunst gebaut werden soll und ich weiss was das für eine Geburtstagstorte ist, eine Torte, wie du sie dir nicht schlimmer vorstellen kannst... dann spüre ich einfach eine gewisse Existenzangst. AP: Wenn ich Existenzangst habe, dann nicht aufgrund der allgemeinen verwirrenden Situation, wie du sie eben beschrieben hast. Mich beschäftigt schon eher die Frage: haben wir selber genügend Substanz, die uns widerstandsfähig macht gegenüber dieser Szenerie? Die Grösse des Sees betrachte ich als Gegebenheit, für mich gibt es nur die Frage, ob ich genügend in Form bin, ihn zu durchschwimmen. AdF: Mir macht das Theater rund um uns herum Angst, mich bedrückt, dass die Sprache der Architektur beginnt derart spektakulär zu werden, wenn wir gar nicht mehr mitreden können. Du sagst, dass wir gut genug sind in der Bescheidenheit unserer eigenen Sprache, dann hättest du keine Angst, dich würde nur beschäftigen, ob wir eben klar und gut genug seien. AP: Genau. Und von wegen zu wenig spektakulär, denk an die Mensa, ein immerhin ziemlich irrer Bau. Oder wenn ich denke, wie wir uns jetzt eben in das Projekt eines Spitals verbeissen, das wirklich anders wird als alles, was bisher in dieser Richtung zu sehen war. Oder wenn ich an die Thalmatt 2 denke, da gibt es doch kein Pendant. AdF: Bleibt also für dich die Frage: arbeitet unsere Bürostruktur (die Gruppierung von 19 Partnern) unserer Suche nach Eindeutigkeit entgegen oder unterstützt sie sie? Da muss ich wieder an Behnisch denken, wie er sein Büro beschreibt, dann glaube ich schon, dass wir mit unserer Tendenz zur «lebenslangen» Bindung sehr viel tun, um Qualität und Kontinuität unserer Arbeit zu sichern. AP: Ich glaube auch. Nicht zuletzt weil wir uns nach 30 Jahren Atelier 5 eben nicht als Patriarchen benehmen, die mit einem gönnerhaften Blick auf die kommenden Generation schauen. Wir sagen : also arbeiten wir zusammen, ich bin wie ihr, packen wir's an. Ich bin eben nicht Behnisch und ich bin nicht Hertzberger, ich bin ein Teil des Atelier 5 und darin sehe ich eine Besonderheit. AdF: Etwas, das natürlich nach wie vor nicht verstanden wird. Ich erinnere mich da an eine Diskussion mit Behnisch und Lackner (Gruppe 4 Österreich) zum Thema : «Warum lässt das Atelier 5 seine Autoren nicht aufscheinen ?» Ich habe in diesem Gespräch zu erklären versucht, dass wir die Sachbearbeiter der einzelnen Projekte nicht nennen würden weil wir erkannt hätten, dass nicht nur die am Projekt direkt Beteiligten, sondern das ganze Atelier 5 für die Qualität der Projekte massgebend ist. Du glaubst nicht, es kam mir vor, als hätte ich zur Revolution aufgerufen. Die beiden meinten, der Autor fühle sich doch unter diesen Umständen zurückgesetzt. Ich habe darauf Behnisch geantwortet: und was heisst denn Behnisch und Partner ? Wenn ich «und Partner» bin, wo wird denn da meine Beteiligung sichtbar? Da werde ich doch einfach als Gehilfe eines Herrn erwähnt, der ich in Wirklichkeit nicht bin. Wir machen unsere Arbeiten im Rahmen eines Kollektivs, die Bezeichnung Atelier 5 ist daher die einzig richtige... Im Grunde hatten die beiden keine brauchbaren Argumente, aber gerade dieses Fehlen von Argumenten schien mir einen spürbaren Widerstand auszulösen. Und jedesmal kommt in solchen Gesprächen auch wieder: man wisse doch, im Atelier 5 seien es drei oder vier Leute, die wirklich das Sagen hätten. Wir aber wissen, dass es anders ist. AP: Zum Teil richtig, zum Teil falsch. Mich interessiert aber nur, was falsch daran ist. Mich interessiert die Wirksamkeit der grossen Gruppe. Im Grunde weiss ich auch nicht, wo denn das eigentliche Problem sein sollte. Wenn wir der Meinung sind, Bauen sei eine relativ komplizierte, langwierige Angelegenheit, wo es auf allen Ebenen Qualität und Einsatz braucht, wieso soll dann der Einsatz des einen höher eingestuft werden als der des andern ? Da gibt es doch wirklich keinen Grund. Fragen der Tradition für den einen, Geschäftspolitik für den andern, für uns ist dies alles kein Grund, der einzelnen Person einen Sonderstatus zu geben. Ich weiss aber, dass wir damit selbst in Freundeskreisen kaum verstanden werden. AdF: Da haben wir uns mal etwas aufgebaut, das in unserer Gesellschaft wirklich kaum verstanden wird. Wenn es heisst, der

Behnisch ist gestorben (der arme, es geht mir gar nicht um ihn, sondern um die Sache), da geht ein Rauschen durch den Blätterwald, «und Partner» kann ja gar nicht sterben. Beim Atelier 5 stösst jeder, der nach Autorenschaft, nach dem Künstler als Individuum sucht, auf Granit: das hat bei uns keinen Platz. Stell dir vor, der Botta ist krank... AP: Da siehst du ein Imperium zusammenbrechen. AdF: Wenn du aber mal den Tages- oder Wochenablauf eines solchen Mannes anschaust... AP: dann... dann kommt die Stunde der Wahrheit... AdF: Zwei Tage als Professor hier, einen Tag Vorbereitung, ein Tag auf Reisen, ein Tag im Büro von Tisch zu Tisch flatternd. Wenn du erzählst wie lange und wie intensiv sich jeder von uns mit seinen Projekten beschäftigt, wie lange wir zusammen sind, über wie lange Zeit man sich über gemeinsame Probleme unterhalten hat, auf wie vieles man sich im Sinne von Gemeinsamkeiten beziehen kann, dann merkst du plötzlich, wie alleine du stehst mit deiner Art zu arbeiten. AP: Und wie wenig angenehm es ist, wenn diese Art zu arbeiten denjenigen in Erinnerung gerufen wird, die dies eigentlich auch so tun möchten, vielleicht sogar vorgeben, es zu tun, es in Wirklichkeit aber nicht mehr können, weil sie sich anders eingerichtet und gebunden haben. AdF: Wenn eine Gruppe wie wir dann auch noch Projekte zu schaffen in der Lage ist, die man eigentlich von ihrer Prägung her einem einzelnen Autor zuschreiben möchte, dann will man uns überhaupt nicht mehr glauben, was wir über unsere Art zu arbeiten erzählen. AP: Schwer zu verstehen, dass man nicht verstehen will. Ich erinnere mich an meinen Vortrag in Genf, der zum weitaus grössten Teil von Arbeiten in der Gruppe gehandelt hat. Da wurden die Leute sehr unruhig. Unruhig weil sie neugierig waren. Ich frage mich manchmal, ob wir uns in dieser Beziehung nicht zu schlecht verkaufen. AdF: Es gibt ja nichts zu verkaufen. Sicher ist nur, man wäre beruhigt, wenn wir sagen würden : unter uns gesagt, ich bin's, der das alles gemacht hat. Aber wenn wir wieder zurückkommen auf die Frage, ob denn die Erweiterung des Partnerkreises,'die wir 1985 vorgenommen haben, wirklich richtig war... ich bin überzeugt, sie ist richtig. Wir haben damit gezeigt, dass unsere Art zu arbeiten richtig, aber auch übertragbar ist. Es ist für alle, die bei uns arbeiten, wichtig zu wissen, dass wir im Grunde genommen ein Leben lang mit ihnen Zusammenarbeiten möchten. AP: Ich habe da auch Vertrauen in unseren Instinkt. Immer wenn mir Zweifel kommen, versuche ich mich zurückzuerinnern und dann wird mir klar, dass schon die erste Erweiterung des Partnerkreises 1969 genau zu dem geführt hat, was wir uns eigentlich gewünscht hatten. Obwohl, auch damals war der Schritt keine Selbstverständlichkeit; er hat uns vielleicht Fritz, Gerber und Morgenthaler gekostet (Partner, die 1969 unmittelbar nach der Erweiterung ausgetreten sind). Und heute, da erwartet wieder mancher, dass die erneute Erweiterung des Partnerkreises wohl den Untergang des Atelier 5 sein müsse, weil man das, was wir machen, einfach nicht für möglich hält. Ich spüre das immer wieder. AdF: Wahrscheinlich hatten die Leute solche Erwartungen schon bei der ersten Erweiterung. Doch noch einmal zurück: wenn du sagst, dich beschäftigt weniger das gegenwärtige Theater in der Architekturszene, dir gehe es mehr um die Frage, ob wir selber klar und einfach genug seien, und damit verbunden, ob unsere Struktur geeignet sei, dies in die Wirklichkeit umzusetzen, was fällt dir dazu noch ein ? AP: Dass man keine Gelegenheit verpassen darf, Einfachheit und Klarheit in unseren Arbeiten zu erreichen. Vor allem ein Bewusstsein unter uns allen zu erreichen, dass es eben darum geht. Darin sehe ich auch die Quelle unserer Freude an der Arbeit. Was uns nicht passieren darf, dass aufgrund eines gewissen Routineverhaltens, aufgrund eines gewissen Selbstvertrauens, aufgrund von Ermüdung und Abbau der Aggressivität unsere Aussagen immer unverständlicher werden. Das kann passieren, wenn man nicht ganz bewusst dagegen kämpft. Instinkt kann man in dieser Frage, bei einer so grossen Gruppe, nicht unbedingt als selbstverständlich voraussetzen.