Der Teil der Neuenburger Bevölkerung, der sich am 27. und 28. Oktober an der Abstimmung beteiligt hat, hat das Projekt mit 68% der Stimmen abgelehnt. Wenn auch dem ausgezeichneten Entwurf der 1. Preis durch die Jury zuerkannt wurde, so bremsen doch, in diesem Fall, die Bewohner Neuenbürgs die kulturelle Entwicklung ihrer Stadt. Aber der Kampf geht weiter, das kündigt die örtliche Bewegung zur Unterstützung des Theaterbaus an. Hoffen wir das Beste ! Die Redaktion
Vorwort Die hier vorgestellte Vorstudie zeigt deutlich die Notwendigkeit auf, die Kenntnis über die Situation während der Projektarbeiten zu vertiefen; es ist keinesfalls ausreichend, sich Ortskenntnisse anzulesen, auch wenn dies noch so sorgfältig erfolgt. Es sind darüber hinaus Experimente erforderlich, Untersuchungen, Prüfungen, wie der Ort auf verschiedene Ideen reagiert, die dem Projekt zugrunde liegen können. Im Fall des Theaters wäre, wenn wir uns rein auf die Ergebnisse der Stadtanalyse beschränkt hätten, die Schlussfolgerung die gewesen, dass der Bau eines grossen Gebäudes an diesem Ort aufgrund der Masse nicht möglich ist. Schliesslich hat uns die Arbeit am Projekt eines Besseren belehrt.
Der historische Kontext Der Englische Garten liegt zwischen zwei Strassen mit unterschiedlichem Charakter. Die ältere entspricht einer Sinuskurve des alten Seeufers. Dieses Ufer wurde um 1770 in seiner Länge mit einer ersten Aufschüttung versehen. Die zweite Strasse wurde um 1865 im Rahmen der Planung des künftigen Viertels der Schönen Künste gebaut. Zu der Zeit wurde ebenfalls der Englische Garten so umgestaltet, wie er sich heute präsentiert. Bewahrt wie eine Insel zwischen zwei Epochen städtischen Wandels am See, hat der Garten in seiner morphologischen Einheit überlebt; das neue Theater kann diese Einheit nicht in Zweifel ziehen. (1) Das Programm Entgegen den üblichen Forderungen nach Integration eines Gebäudes in die nähere und weitere Umgebung, legte die Jury feste Zielvorgaben und konkrete Masse fest: 500 ausschliesslich gute Sitzplätze; theaterspezifischer Eingang, Vorraum und Promeniermöglichkeiten für den Theatergast; Restaurant, Foyer, Probenraum, Orchestergraben, zweiter Raum für ein kleines Publikum; Bühnenöffnung, Freiraum um die und über der Bühne, Künstler-Garderoben, Anordnung der Ausstattung nach den effizientesten Techniken unserer Tage. Man setzt auch auf den echten Genuss des Hörens und Sehens aus der Nähe, die maximale Beschränkung der Distanz auf 22 m, um den Besucher zu fesseln. Das Projekt sucht nach der Befriedigung des Willens, über einen ausschliesslich dem Theater gewidmeten Platz zu verfügen. - «In seiner Gesamtheit der Aufführung zugewandt» heisst es in einer Bestimmung des Wettbewerbs. Die Hauptbühne ist für Theateraufführungen, Tanz und Opern ausgelegt. Das Studio ist für poetische Werke, Pantomime, Experimentiertheater und Forschung gedacht. Die Situation Die Einheit des Parks, die Notwendigkeit, ihn in seinen Abmessungen und in seiner Form zu erhalten, schienen für uns unabänderliche Vorbedingungen zu sein. Seine historischen Grenzen sowie seine langgestreckten und nicht sehr breiten Proportionen machen ihn zu einem ganz besonders sensiblen Ort. Die Eingliederung eines Gebäudes in diesen Ausmassen scheint undenkbar zu sein. Die Akzeptanz dieser Situation bedeutet: Suche nach der Aufnahme von Beziehungen zu allem, was mit dem Kontext und der Historie des Parks in Zusammenhang steht. Bei der Analyse der Situation begriffen wir auch, dass wir der Stadt kein Rezept dafür geben durften, aus dem Park eine Baulandreserve zu machen. Aus diesem Grund haben wir die Avenue du 1er-Mars unberücksichtigt gelassen. Der Park de la Rotonde konnte der Theaterpark werden, er musste jedoch seine Einheit bewahren. Unser Gebäude findet einen Platz im Garten, wie in der Vergangenheit schon andere bekannte Theater. Theatertruppen nähern sich einer Stadt, bauen ihre Zelte auf und die satirische oder possenhafte Vorstellung kann beginnen. Daher entfernt unser Projekt sich von der Avenue du 1er-Mars, einem perfekten Beispiel der Architektur, wie sie dem 19. Jahrhundert verordnet wurde. Es erinnert an ein Zelt, an etwas, das atmet, eine Haut hat. Diese Idee wird durch die Fassade akzentuiert, die in ihrem unteren Teil etwas nach innen gezogen ist, in gewisser Weise an ein gespanntes Zelt erinnernd. Da ist auch die Idee, dass nach beendeter Vorstellung der Vorhang fallen kann, das Theater verschwindet. Die Lichter verlöschen, nichts ist mehr da, der letzte Besucher hat den Saal verlassen, das Fest ist aus. Selbst wenn die Verwendung von Stein für die Fassade den Eindruck der Stabilität verleiht, des Monolithischen, so wird dies dennoch durch die Anordnung der Platten in Zweifel gestellt, die die Fragilität eines Kartenhauses vermitteln; auch dies steckt in der Idee des Zeltes. Die Beziehungen zwischen Park und Theater stellen ein Problem des Platzes und der Architektur dar. «Die zum Samarra, Kairouan oder Cordoue-Hof offenen Hypostilone bilden dank eines ganzen Waldes an Trägern eine Umgebung, deren Grenzen nicht greifbar sind » (2). Stellen wir uns also den Garten als einen grossen Tempelsaal vor, in dem die Säulen durch Bäume ersetzt sind. Das Volumen, die Fassaden Die gekrümmte Form der Fassaden spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle; ihre optischen Effekte erlauben es, mit Verkürzungen und Ausdehnungen der Objektmasse zu jonglieren. Die Form der Bedachung geht ebenfalls in diese Richtung, von der Stadt aus - 4,50 m - strebt sie immer weiter hinauf bis auf 23 m. Der Spaziergänger erkennt diese Form langsam, sie wird für ihn begreifbar. Auf der anderen Seite haben wir diese immense Fassade, die in einem anderen Masstab wie eine Ruine erscheint, eine Art Skulptur. Unser Wunsch, den Kulissenturm in einer einzigartigen Form einzubeziehen, barg das Risiko, grosse, leere, und unnötige Räume zu schaffen. Durch Modellierung am Volumen konnte dies vermieden werden. Von all unseren Projekten ist dies dasjenige, das am stärksten an eine Skulpturarbeit erinnert. Der Wunsch, die Einheit des Englischen Gartens zu bewahren, stand hinter dieser Haltung. Bei einem Projekt im
städtischen Bereich wäre es völlig anders ausgefallen. Das städtische Umfeld verpflichtet, einen gewissen Gewinn an den kollektiven Werten mit einzubinden. Diese Arbeit an der Form erlaubt darüber hinaus, den Raum des Theaters zu qualifizieren, ihn in seinen Abmessungen zu erkennen. Zunächst haben wir die räumliche Aufteilung erarbeitet, in der Vorstellung, dass der Eingang hinter dem Kulissenturm liegen kann, der Weg an der gesamten Bühne bis zum Foyer vorbeiführt und damit die gewohnte Barriere zwischen Zuschauer und Künstler überwunden wird. Die räumliche Aufteilung ist ebenfalls eine visuelle Erfahrung, die Wiedererkennung des Raumes. Schliesslich wurde die Idee dieser Aufteilung aus wirtschaftlichen und vor allem aus funktionalen Erwägungen aufgegeben. Man kann nicht alle drei Elemente umgreifen, die Haut, den Raum und das, was wir die Arbeitspyramide genannt haben, aber man kann sie erfassen, ihrer Ausdehnung in den Raum folgen. Der grosse Mantel aus Stein, der Monolith, der aus der Erde ragt, sie jedoch kaum berührt, beinhaltet die gesamte Theatermaschinerie. Der Puls der kreativen Arbeit, die Proben und die Aufführungen transluzieren durch die konvexe und konkave Linienführung der seitlichen Fassaden. Die Zusammenfügung der Fassadenelemente erzählt auch die Geschichte der Bauphase, des Wachsens des riesigen Mauerwerks. Das Mauerwerk selbst besteht aus weissem Felsgestein, nicht aus dem gelblichen Gestein des Hauterive. Der Fels, wie er in dieser Gegend häufig für Sockel eingesetzt wird, ist vom Aspekt her das gröbste Material. Seine Struktur und das kontinuierliche Wechselspiel der Lichtbrechung vermittelt Dynamik oder Ruhe, lässt das Gebäude schlank oder gedrungen wirken. Er wird zum abstrakten Objekt, zur immer gleichen, immer anderen Skulptur des Parks. Der Innenraum Die äussere Abstraktion verwandelt sich im Innern in ein bekanntes Bild: Ein Ort mit zwei «oben offenen » , seitlichen Wegen, dank der grosszügigen, halbmondförmigen, sich langsam verlierenden Verglasung. Das Publikum und die Spaziergänger werden das Theater im Winter und im Sommer unterschiedlich erleben. Im Winter und abends wird die Halbmondverglasung beleuchtet und zeichnet sich von aussen von jeder Seite des Gebäudes ab. Im Sommer wirkt sich der Effekt in erster Linie innen aus. Man hat den Eindruck, in ein geschlossenes Gehäuse zu treten, überrascht über das auf die Seitenfassaden fallende Tageslicht. Diese offene Gestaltung erstreckt sich über die gesamte Länge des Theaters. Die Akteure werden auf dem Weg in ihre Garderoben stets vom Tageslicht begleitet. Es besteht ein Bezug, eine Analogie zum Innenraum: das Kino «Airone» de Libéra in Mailand, bei dem der Raum wie ein riesiger Walfischbauch gebaut ist. Dieses Bild hat uns nicht mehr losgelassen. Man betritt das Theater wie «einen Walfischbauch». Der Besucher wird durch die Wölbung in den Zuschauerraum geführt. Er hat den Eindruck, in die Unendlichkeit zu schreiten. Die Faszination, an der Wölbung entlangzugehen, besteht in dem Wunsch, diese noch zu überschreiten. Ein Dach kann zur Fassade werden; es kann bis auf 4,50 m heruntergezogen werden, d. h. auf das Minimum im Verhältnis zur Grösse des Menschen, und dennoch paradoxerweise einen riesigen Apparat beherbergen. Autoren : Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio, Architekten mit Eric Maier, Architekt Quelle: (1) Jean-Pierre Jelmini, Historiker, Neuenburg (2) Henri Stierlin «Comprendre l'architecture universelle» BD. 2, Office du Livre, Freiburg 1977