Architecture Suisse

LIBRE

Zum 90. Jahrestag des Congrès International d'Architecture Moderne - C.I.A.M.

Vom 26. bis 29. Juni 1929 wurde im Schloss von La Sarraz (VD), 20 km von Lausanne entfernt, der erste internationale Kongress Moderner Architektur (C.I.A.M.) abgehalten. Es handelte sich um eine der ersten Zusammenkünfte zum Thema des modernen Bauens. Viel wurde zum Thema dieses Kongresses, der dieses Jahr sein 90. Jubiläum feiert, geschrieben, auch über die nachfolgenden Kongresse. Kaum eine historische Betrachtung der modernen Architektur kommt um die grosse Bedeutung dieser Zusammenkünfte herum, die, obwohl sie nur einem beschränkten Teilnehmerkreis von Architekten zugänglich waren, der Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Stempel aufgedrückt haben. Obwohl die Diskussionen nur formlos verliefen, haben die Teilnehmer, wenn auch über manches uneinig, eine Schlusserklärung unterzeichnet. De facto waren es zwei Erklärungen, denn die französische und die deutsche Erklärung stimmten nicht ganz überein, wie es Jacques Gubler in seinem ausgezeichneten Artikel „Nationalisme et internationalisme dans l’architecture moderne de la Suisse“ hervorhebt. Die Erklärung vom 28. Juni 1928, von 24 Architekten aus verschiedenen Ländern unterschrieben, umfasste die vier folgenden Themen:

1. Allgemeine Wirtschaftlichkeit

2. Stadt- und Landesplanung

3. Architektur und öffentliche Meinung

4. Architektur und die Beziehung zum Staat

Unter den Unterzeichneten befanden sich viele Vertreter einer modernen Architektur, alle Ende 19. / Anfang 20. Jahrhunderts geboren; ihr Pate war, wenn man es so nennen darf, ihr geistiger Vorvater Henri Petrus Berlage, geboren 1856. Nicht vergessen dürfen wir die Teilnahme einer Anzahl von Schweizer Architekten (Max Ernst Haefeli, Arnold Hoechel, Hannes Meyer, Werner-Max Moser, Hans Schmidt, Rudolf Steiger, Robert von der Mühll); dazu kamen Pierre Jeanneret und Le Corbusier sowie Siegfried Giedion, der das Amt des Generalsekretärs beim ersten Kongress ausübte.

Die Kongresse wurden regelmässig fortgesetzt, mit einer Pause zwischen 1937 und 1947 und bis zum letzten Zusammentreffen in Otterlo (NL) im Jahre 1959. Die in La Sarraz angesprochenen Themen, so wie sie im Schlussbericht erscheinen, sind auch heute von grosser Aktualität oder sollten es wenigstens sein bei der Diskussion um Architektur und Stadtplanung, selbst wenn natürlich die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr die gleichen sind. Die Erklärung enthält eine Reihe von typischen Standpunkten der modernistischen Propaganda, wie vor allem die bedingungslose Ablehnung der akademischen Lehre der Architektur und die Notwendigkeit zur Anpassung ihrer Konzeption und Realisierung an die industrielle Produktion und das Verschwinden der handwerklichen Berufe. Diese Forderungen wurden dadurch bestimmt, dass „die Umwandlung der wirtschaftlichen Ordnung und des sozialen Lebensstils zwangsläufig eine entsprechende Wandlung des architektonischen Phänomens mit sich bringt“. Es ist also keine Überraschung, dass der erste Punkt präzise die wirtschaftlichen Aspekte betrifft und dass man die Suche nach dem maximalen Profit verurteilt. Im zweiten Artikel heisst es „Der Begriff Wirkungsgrad bedeutet nicht eine Produktion mit einem maximalen wirtschaftlichen Gewinn, sondern eine solche, bei der ein minimaler Arbeitsaufwand erforderlich ist“, wobei die Verarmung der Wirtschaft im Allgemeinen zum Ausdruck gebracht werden sollte. In diesem Zusammenhang konnte das Ziel nur sein, einen maximalen Wirkungsgrad zu erzielen, um damit die totale Desorganisation der handwerklichen Baukunst auszugleichen.

Dann kommt eine Verherrlichung der Rationalisierung und des Normenwesens, die als einzige Werkzeuge betrachtet werden, mit denen man die augenblickliche Situation angehen kann, und die Notwendigkeit, selbst die Fundamente des Entwurfs zu erneuern.

Heutzutage ist es einfach, solche Standpunkte im Lichte der zahlreichen Fragen zur Dominanz der Technologie zu kritisieren, die sich immer an erster Stelle positioniert und sich in allen Situationen aufdrängt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Ziele der Erklärung sozialer Art waren und damit ein politisches Engagement. Einige der Teilnehmer haben das auch nie verschwiegen.

Das Thema der Verquickung zwischen Architektur, Städtebau und Politik, von den einen hervorgehoben und von anderen relativiert, wurde zu einem Punkt der Uneinigkeit und eine Art Wendepunkt zwischen zwei verschiedenen Auffassungen von Architektur und der Rolle des Architekten in der Gesellschaft. Dementsprechend beginnt der zweite Punkt wie folgt: „Stadtplanung ist die Organisation der Funktionen des öffentlichen Lebens. Dies gilt sowohl für die städtischen Agglomerationen wie auch für den ländlichen Raum“. Hier muss der Zentralität des öffentlichen Lebens und der problematischen Koexistenz zwischen den städtischen Ballungsräumen und dem flachen Land die genügende Wichtigkeit zuerkannt werden, und dies in einer erweiterten Betrachtungsweise betreffend das Territorium, das wir heute als gemeinschaftlichen Besitz betrachten. In diesem zweiten Punkt der Erklärung geht es ebenfalls um die Zersiedelung des Landes, die als das grösste Hindernis bei einer „harmonischen“ Planungspolitik gesehen wird. Der dritte und der vierte Punkt betreffen weniger wichtige Themen, die jedoch auch von grosser Bedeutung sind.

Die Beziehung zwischen Architektur und öffentlicher Meinung erfordert unsere besondere Aufmerksamkeit, wobei in unserer augenblicklichen Situation, in der diesem Berufszweig ein so grosses Ansehen zukommt, die kritische Betrachtung im Gegenteil viel zu kurz kommt.

Prof. Luca Ortelli

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GTA ARCHIVES / ETH ZURICH (CIAM-ARCHIVE). DIE TEILNEHMER DES C.I.A.M. IM JAHRE 1928 IN LA SARRAZ.

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