Was wissen wir von Dänemark? Nun, die blonden Frauen, Sie tanzte nur einen Sommer, 1951, die ersten Nackten im Film, am Strand, im Gegenlicht, enttäuschend: nichts zu sehen. (Auch der Film endet tragisch.) Aber nein, das war ein schwedischer Film. Also Dänemark? Die grossartigen politischen Kriminalserien am TV, angefangen mit Borgen, und dann der wirkliche Kriminalfall der Danske Bank: ihre estnischen Filiale hat riesige Mengen von schmutzigem Geld gewaschen – ein Teil davon landete dann in der Schweiz. Das ist eine andere Geschichte.
Was wissen wir von Dänemark, architektonisch? Einige Namen, Arne Jacobsen, das Dach seiner Tankstelle in Skovshoved, 1936, dann sein Sessel Schwan und der Stuhl Ameise (andere Sessel sind ihm weniger gelungen), überhaupt die dänischen Möbel, von Hans Wegner und anderen, als Vintage teuer zu kaufen, obschon sie weiter produziert werden, die Lampen von Louis Poulsen & Cie., für die das auch gilt. Und Kay Fisker, nehme ich an, nachdem sein Werk 1986 dank einem Heft der archithese einem breiteren Kreis bekannt wurde: vor allem die Karrees, seine Häuserblöcke in Kopenhagen.
1928 brachten Wasmuths Monatshefte für Baukunst eine Nummer heraus über Häuser von Fisker, Tessenow, Scheibler und anderen Vertretern einer Haltung, die ich – in jenem Heft über Kay Fisker – als Tradition in Bewegung bezeichnet habe, „tradition en marche“, kann man sagen um ein Schlagwort aufzunehmen. Damit habe ich ein Bauen gemeint, das von dem ausgeht, was da ist – Baustoffe, Bauweisen und Bauformen – das aber Neues aufnimmt, wenn es sich als brauchbar erweist, und das sich damit ständig erneuert: ein Bauen, das Tradition also sachlich versteht, nicht als Bild.
Diese „Tradition der Sachlichkeit“ ist heute – auch in Dänemark – der Seuche der signature buildings gewichen, dem lauten Bauen von BIG und anderen. Schade.
Zwei Beispiele sollen diese Tradition zeigen. Das eine ist die Universität in Aarhus. 1931 gewinnen Fisker und C. F. Möller den Wettbewerb und realisieren in der Folge die ersten Bauten, das anhand von drei Regeln: einfache Baukörper, aneinandergesetzt, Backstein für Mauern und Ziegel für Dächer, und Dächer mit einer Neigung von 30 Grad. Das ist alles. Es sind wenige Regeln, die jahrzehntelang gelten und die Bauten prägen, ab 1943 von Möller allein. Welche Lektion sind sie für Architekten! Welche Lektion darüber, wie unterschiedlich der Ausdruck von Architektur sein kann durch nichts anderes als die Proportionen der Baukörper und die Formen der Fenster!
Das zweite Beispiel sind die schon genannten PH-Lampen. 1925 in einer ersten Version entworfen, variiert ihr Entwerfer, Poul Henningsen diese Lampen mit drei Schirmen aus Glas, später mit vier Schirmen aus Blech immer wieder. Mit unterschiedlichen Grössen schafft er unterschiedliche Stimmungen. Entzückend etwa die „Dolden“ kleiner Leuchten, die wie Maiglöckchen im Sitzungszimmer des Polizeigebäudes von Kopenhagen hängen. (Zu solchen formalen Massnahmen kommen noch technische.)
Beides sind Beispiele für eine Haltung in Architektur und Design, die sich dem Neuen als Wert an sich entgegenstellt, und an Stelle der nouveauté die feinen Unterschiede sucht, die Unterschiede, die nicht aufhören, uns zu beschäftigen, wenn der Reiz des blossen Neuen schon lange verblasst ist. In diesem Sinn sind sie zwei bedeutsame dänische Lektionen.
Prof. Martin Steinmann