Architecture Suisse

ARTISTE

Georg Aerni

wir diskutieren mit

Text Leo Fabrizio

Mohammed Kamal, 2018, de la série "Silent Transition", Gizeh, Le CaireLIGHT.jpg

MOHAMMED KAMAL, 2018, AUS DER SERIE „SILENT TRANSITION“, GIZEH, KAIRO

An einem kalten grauen Vormittag werden wir vom Fotografen
Georg Aerni in seinem Zürcher Atelier herzlich empfangen, um
ein Gespräch über seine Arbeit zu führen. Weder der Ort noch
die Sprache des Besitzers sind mit unnötiger Dekoration belastet.
Seine wenigen Worte sind präzise gewählt. Doch gerade in dieser
Nüchternheit, oder besser gesagt in den kleinen Details, die sie
ausmachen, wird uns Georg Aernis faszinierendes fotografisches
Universum offenbart.


Nach einer Ausbildung als Architekt ergreift ihn die Lust auf einen
Ortswechsel. Aufenthalte in Paris und danach in Barcelona lassen
die beiden ersten fotografischen Serien entstehen, den Grundstock
zu seinem späteren Werk. Ohne technische Ausbildung
und, wie er meint, ohne grosse Kenntnisse von kunsthistorischen
Referenzen, entstehen die zwei Schwarz-Weiss-Serien durch ein
geduldiges Herantasten an die Materie. Dort wo ihm das fotografische
Know-how noch fehlt, kommt ihm das Wissen und die
Praxis des Architekten zugute. Durch die Linse beobachtet, dokumentiert,
umschreibt er mit Aufrissen die Fassaden der Pariser
„Panoramen“ oder der „Xamfrans (Fasen)“ der Strassenblocks des
Plans Cerdà in Barcelona.


Durch Herantasten und Experimentieren wird somit die Fachkamera
zum bevorzugten Werkzeug des fotografischen Dokumentierens.
Seine Herangehensweise und sein Verfahren erinnern uns
an die fünf Bildhauer, Maler und Graveure, die die Mission Héliographique
ausführten. Eine weitere Reise führt Georg Aerni nach
Hong-Kong, wo er die Serie „Slopes & Houses“ entwickelt, die den
Beginn seiner Auseinandersetzung mit Farbfotografie markiert.

Georg Aerni arbeitet wie ein Handwerker mit der festen Überzeugung,
dass man nur durch Praktizieren zum Könner wird. Auf
die Fotografie übertragen, funktioniert dies aber nur unter zwei
Bedingungen: einerseits braucht es ein umfassendes Bewusstsein
– dies ist der Fall bei Aerni: der fotografische Prozess wie die
Bildgestaltung sind voll in sein künstlerisches Verfahren integriert.
Andererseits muss diese fotografische Arbeit ein Werkzeug des
Wissens und des Sehens sein. Fotografieren bedeutet nicht viel,
wenn es nicht voll und ganz einem Zweck untergeordnet ist.

2 F6-1, de la série "Xamfrans", Barcelone, 1996-98light.jpg

F6-1,1996-98, AUS DER SERIE „ XAMFRANS“, BARCELONA

Wie bereits erwähnt, ist Aerni nicht als Fotograf, sondern als
Architekt ausgebildet und so mit den entsprechenden Denk- und
Wahrnehmungswerkzeugen vertraut, ebenso mit den Grundlagen
und Themen rund ums Bauen, Transformieren und folglich auch
mit dem Einfluss von Architektur auf den Mensch. Die Fotografie
kommt erst in einer zweiten Phase ins Spiel, als Aufzeichnung und
Zeugnis, nach einem Konzept, das nur wenig Spielraum für Improvisation
zulässt.

Die fotografische Arbeit befragt permanent die unmittelbare
Gegenwart, aber auch übrig gebliebene Elemente, die im Laufe
einer langen Geschichte ihre Bedeutung verloren haben – die
Artefakte. So werden wir uns durch den Blick von Georg Aerni
bewusst, was von unserer gebauten Umwelt zurückbleibt, und er
öffnet uns zweifelsohne auch die Augen für so manche merkwürdige,
lebensfeindliche Architektur, die da und dort entsteht.

North Pont, 2000, de la série "Slopes & Houses", Hong Kong.jpg

NORTH PONT, 2000, AUS DER SERIE „SLOPES & HOUSES“, HONG KONG

Wenn man die Arbeit von Aerni der Tradition der Mission Héliographique zuordnen will, den grossen Namen der DATAR oder einer bestimmten Schule in Deutschland, so fallen einem jedoch gewisse fundamentale Unterschiede auf. Unterschiede, die bei mehreren seiner Schweizer Berufskollegen immer wieder zu finden sind – wie wenn die Nähe zwischen Natur und gebauter Umwelt der Schweiz zu einer Verflechtung dieser beiden Elemente führen würde.

Jogeshwari, 2010, de la série "Promising Bay", Mumbai.jpg

JOGESHWARI, 2010, AUS DER SERIE „PROMISING BAY“, MUMBAI

Jordan, 1999, de la série "TV Time", Hong Kong.jpg

JORDAN, 1999 AUS DER SERIE „TV TIME“, HONG KONG

Indem wir hier die Praxis dieser Fotografen beleuchten, versuchen wir aufzuzeigen, dass den Fotohistorikern möglicherweise
eine sehr typisch schweizerische Ausdrucksform entgangen ist - sei es aufgrund einer fehlenden Schule oder Bewegung. Und dass das diskrete und wenig gezeigte Werk Georg Aernis zu einem Hauptwerk dieser Bildsprache gehört.

Fontana, 2008, de la série "Artefakte".jpg

FONTANA, 2008, AUS DER SERIE „ ARTEFAKTE“

Masseria Rauccio, 2015, de la série "Plastiche".jpg

MASSERIE RAUCCIO, 2015, AUS DER SERIE „PLASTICHE“

Fieschergletscher, 2006, de la série "Holozän".jpg

FIESCHERGLETSCHER, 2006, AUS DER SERIE „HOLOZÄN“

www.georgaerni.ch