(Intervalle und Obertonreihe), wie im Menschen (genaues Gehör und sinnliche Empfindung) absolut identisch sind. Eigenartigerweise wurden diese Grundgesetze seit den Griechen, mit Ausnahme Kepplers im 17. Jhh., nicht mehr in ihrer Wesenheit erkannt, bis die modernste Neuzeit die Tiefe dieses Wissens neu entdeckte. Einstein sagt:«...die kosmische Religiosität liegt im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetze...» Und ein anderer weltberühmter Atomforscher, Werner Heisenberg sagt ...«Die Erkenntnis der Pythagoraer über die sinngebende Kraft der mathematischen Bedingtheit der Harmonie in den einfachen ganzen Zahlenverhaltnissen gehört zu den stärksten Impulsen der Weltgeschichte » Die pythagorische Erkenntnis der Verhaltnisgebundenheit - Natur Musik - Mensch, hatte die ganze griechische schöpferische Welt vom 5.-3. Jhh. v.Chr. weitestgehend bestimmt, und z.B. die ausserordentlich schöne proportionale Gesetzmassigkeit der griechischen Tempel geschaffen. Platon schrieb... «sie suchten die exakten Zahlen in den gehörten Zusammenklangen», und Aristoteles schrieb -«die Pythagoraer haben erkannt, dass die Eigenschaften und Verhältnisse (Intervalle) der musikalischen Harmonie auf genauen ganzen Zahlen beruhen...». Wie schon erwähnt, entwickelte sich unsere sog. «musikalische Harmonielehre» aus der Harmonik. Musik und Architektur sind also, so lange die exakten Gesetzmassigkeiten der Natur zur Geltung gelangen, zutiefst verwandt. Und wenn in der Architektur Grundthematik, Strukturentwicklung, sowie Spiel und Gesetz der Proportionen fundamentale Richtlinien sind, so glaube ich in jeder ernsthaften Musik die enge Verbundenheit zur Architektur erkennen zu können. Der ausserordentlich wertvolle Versuch von J.-M. Hayoz, in 26 musikalischen Werken die engen Beziehungen von Musik und Architektur aufzuzeigen, wird im Anhören zum tiefen Erlebnis. Die Gefahr des hilflosen Überwältigtseins liegt allerdings so nahe, dass dem musikalischen Laien der Zugang ins Einzelne sehr erschwert ist oder gar verwehrt bleibt. Man darf bei allem guten Willen und Suchen nicht vergessen, dass Architektur statische - und Musik immer dynamische Schöpfung ist. Die Verwandtschaft liegt also vor allem im geistigen Wertmasstab. Meinem Erlebnis entsprechend glaube ich, dass sich die Arbeit von J.-M. Hayoz doch eher an den Musikkenner, als an den Architekten wendet. Und gerade deshalb will es mir scheinen, dass es ein dringendes Bedürfnis wäre, den Versuch vermehrt zu wagen, dem Architekten die wesentliche Verwandtschaft zur Musik aufzuzeigen. Die Architektur befindet sich heute in einer Wissenslücke in allen Bereichen der Harmonie und Harmonik. Wenn also diese ausserordentlich schöne kleine Pionierarbeit Ansporn wäre, die gemeinsamen Gesetze von Architektur und Musik wieder zum Allgemeinbegriff werden zu lassen, dann wäre vielleicht ein möglicher Weg aus der heutigen Verwirrung in eine gute Zukunft der Architektur aufgetan. Otto Glaus, Dipl. Arch. BSA/SIA
Präludium Zuerst eine grundlegende Einsicht: Die Rechtfertigung der Musik kann nicht durch Bilder, Anekdoten, Anspielungen auf die Natur, nicht durch die Literatur und auch nicht-was uns betrifft-durch die Architektur geschehen. Nein, die Musik muss allem voran durch sich selbst bestehen : Sie berührt die Welt der Gefühle, der menschlichen Regungen, des Herzens, man «spürt» und «erlebt» sie; sie berührt uns, sie erregt und beschwingt uns, gemeinsam mit der Freude, derTraurigkeit, dem Vertrauen oder mit den dunkleren Gefühlen (Eifersucht, Wut), auch mit der Liebe. Aber all dies geschieht ohne Erklärung, ohne Kommentar, ohne Wörterbuch und ohne rationale Überlegung. Musik ist die Muttersprache der menschlichen Gefühle. Als Muttersprache versteht man sie, bevor man weiss, dass sie, wie jede Sprache, gesetzmässig aufgebaut ist. Der Musiker, ob Komponist oder Interpret, muss ihre Orthographie, ihre Syntax und ihren Wortschatz erlernen. Der Interpret muss den Aufbau eines Werkes kennen, um es, unter Berücksichtigung der Formen und gemäss seinem Stil, wiedergeben zu können. Es ist klar, die Komponisten sind die mehr oder weniger begabten Architekten ihrer Werke. (Man sieht, bereits macht sich die Architektur in der Musik bemerkbar.) All dies verhindert nicht-wie in jeder Sprache erlaubt-, dass die Musik bildlich, metaphorisch, gemäldehaft oder geschichtenerzählend sein kann, vorausgesetzt, sie ist als Musik bereits gut gelungen. Anders gesagt, muss die Musik selbstverständlich sein, ohne Erklärung oder Fussnote, aber die
Freude der Wiederentdeckung der Inspirationen des Komponisten gesellt sich dazu. Durch das Verstehen des Aufbaues eines Werkes (ich stelle mich auf den Standpunkt des zuhörenden Musikliebhabers) kommt zur Freude des Hörens noch diejenige der Betrachtung des Aufbaues. Nun aber zwei Zeitpunkte der Architekturgeschichte, die in meinen Augen mit zwei Momenten der Musikgeschichte zusammenfallen : Die Schule von Notre-Dame Die Schule von Notre-Dame ist in der Musik nichts anderes als das Erscheinen der Polyphonie. Bis dahin, bis gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts, regiert die gregorianische Monodie. «Gotische Musik» (wenn das kein architektonischer Begriff ist) wird die Polyphonie genannt, welche sich, ausgehend von dieser Schule der Notre-Dame (ca. 1160-1250) über die Ars antiqua (ca. 1250-1320) und die Ars nova (ca. 1320-1400) bis zur Entstehung der franko-flämischen Schule (um 1400) am Anfang der Renaissance weiterentwickelt und immer komplizierter wird. Die Schule der Notre-Dame in der Musik fallt mit dem Bau der Kathedrale Notre-Dame in Paris zusammen (Bau angefangen im Jahre 1163). Alles steuert zur Schönheit des liturgischen Zeremoniells bei : Das Wort Gottes soll auf die feierlichste Art (also musikalisch) und in der schönsten Umgebung (also in schönen «Gebäuden») vorgetragen werden. Musik und Architektur (die Kleidung der Priester und die Kultobjekte könnten bei gefügt werden) stehen im Dienste des Ritus. Nicht die Schönheit selbst wird von den Künstlern angestrebt, ihre Sorge gilt der Schönheit für etwas. Das hindert die Musiker und Architekten nicht daran, ihr Handwerk immer besser zu verstehen. Die Architekten spannen immer höhere und weitere Bogen, öffnen immer grössere Fenster (welche von Glasmalermeistern mit leuchtenden Farben ausgeschmückt werden, aber auch mit dem Ziel, durch die Bilder die Religiosität zu verstärken), lösen die Schwere der äusseren Widerlagerauf, kurz, sie schöpfen ihr technisches Wissen voll aus (Materialbeschaffenheit, Berechnung der Kräfte). Die Musiker ihrerseits erfinden die Polyphonie. Zuerst das zweistimmige Organum. Le Léonin ist dessen erster Meister. Auf der Basis eines cantus firmus mit sehr langen Noten kann eine sogenannte «organale» Stimme melodische Ranken in einem schnellen, dreitaktigen Rhythmus, den man heute als zum Tanze geeignet bezeichnen würde, erklingen lassen. Der cantus firmus ist ein eigentliches Fundament, über welchem sich das Organum frei entfalten kann. Architektonisch daran ist die Festigkeit des Stimmensystems, die eine auf dem Unterbau der anderen, in einem Feld von erweitertem und mutigerem Bewusstsein als früher. Der zweite Meister der Schule von Notre-Dame, Le Pérotin, bereichert die Polyphonie mit zusätzlichen Stimmen. Damit das System zusammenhält, nach dem gleichen architektonischen Prinzip über dem cantus firmus und jetzt auch um den cantus firmus herum, werden Regeln zur Stimmführung aufgestellt. Diese Regeln (das Schicksal aller Regeln) werden dogmatisch und erzeugen die Ars antiqua. Philippe de Vitry bringt (um 1290-1361) die Sache in Bewegung und wird zum Erneuerer gegen die Alten (ewiger Streit der Generationen). Die architektonische Struktur als Unterstützung des musikalischen Gebäudes wird nicht weniger solide, sondern weniger sichtbar. (In einem gotischen Kirchenschiff fühlt man sich ruhig und sicher, obschon man nichts vom Fundament und den äusseren Strebepfeilern weiss, und spürt die Gewissheit, dass alles bestens Zusammenhalt.) Der Komponist erfindet die Isorhytmik, das heisst, er auferlegt sich rhythmisch répétitive Regeln (die Vorgängerin des Ostinato), die er auf die Noten des cantus firmus anwendet. Aber die Zahl der Noten der rhythmischen Regel entspricht nicht der Zahl der Noten des cantus firmus, so dass sich Verschiebungen ergeben, bis nach ich weiss nicht wievielen - Wiederholungen des cantus firmus die letzte Note beider Stimmen (der rhythmischen und der melodischen) zusammenfällt. Das Vorgehen ist etwas künstlich und kopflastig, aber es zeugt von einer Sorge, welche die Seele aller Komponisten im Verlaufe der Jahrhunderte heimsuchte: das Werk so mit einem inneren Zement zusammenfügen, dass jedes Werk wie ein monolithischer Block mit einem «einheitlichen» Stil dastehe. (Das ist nun wirklich eine architektonische Sorge.) Der Barock Die zweite Gemeinsamkeit zwischen der Architektur und der Musik. Der Begriff «Barock» zur Bezeichnung, Klassifizierung und Katalogisierung der zwischen 1600 und 1750 (diese Daten sind ungefähre Anhaltspunkte) geschriebenen Musik tritt seltsamerweise erst spät, ungefähr in der Mitte des 20. Jahrhunderts, im musikalischen Wortschatz auf. (Es muss darauf hingewiesen werden, dass kein «Barockkomponist»sich je als 84 III
«barock» bezeichnet hat. Zum Beispiel ist Corelli nicht eines Abends an seinen Arbeitstisch gesessen, sagend : Heute Abend erfinde ich das Concerto grosso und weihe damit den Barock ein.) Der Ausdruck« Barock» hatte vorher andere Bedeutungen. Im grossen Larousse des 20. Jahrhunderts von 1928, den mein Vater mir überlassen hat, steht folgendes : Barock: Auf spanisch barueco, ungleichmassige Perle. Sich von der Normalform entfernend, auf die Perlen bezogen. Analog: etwas Unerwartetes, das überrascht. Als Hauptwort: Der Barock ist eine Spur aussergewöhnlich. Kunstgeschichte: Bezeichnet einen architektonischen und dekorativen Stil, reich an Ornamenten und etwas gequält. Ich stelle fest, dass diese Beschreibung ganz gut auf einen etwas übertriebenen Romantizismus, ja auf den Expressionismus oder sogar auf den Surrealismus gepasst hätte. (Ich bin im übrigen gar nicht gegen die Meinung, dass zahlreiche Barock-Werke romantische, expressionistische und manchmal geradezu unverfroren wunderliche Seiten haben.) Ich möchte nun kurz die historischen Bestimmungen und Klassifizierungen auf der Seite lassen und Ihnen mehr über mein «Gefühl» sagen. Bach, der herausragende Gigant des sogenannten Barock in der Musik, soll mir als Vorwand dienen, um von diesem Gefühl zu reden, und soll die Verbindungen zwischen der Musik und der Architektur, die ich zu sehen glaube, aufzeigen, besser als jede andere Beweisführung. Man bezeichnet die Werke Bachs als den «Triumph der Barock-Musik». Lassen wir das gelten. Man bezeichnet Mozart als «Klassiker» und Schumann als «Romantiker». Lassen wir auch das gelten. Aber wir wollen uns der Rezepte, der Kategorien und der Schubladisierung entledigen und einmal versuchen, die Klassik und die Romantik nicht als Markenzeichen für eine bestimmte Epoche, sondern als zwei geistige Verhaltensweisen des Künstlers-Schöpfers seinem Werk gegenüber, das er schreiben, komponieren, malen, behauen oder bauen will. Bach ist ohne Zweifel ein Klassiker, aber Mozart ist auch Klassiker, und dennoch unterscheidet sich ihre Musik grundlegend. (Eigentlich bezeichnet man mit«klassisch»alles, was wichtig genug ist, als Vorbild zu dienen. Bach ist in diesem Sinn ein mehr als würdiges Vorbild, auch wenn er so unnachahmlich ist, dass sogar seine Söhne ganz neue Wege gegangen sind.) Bach, barock ? Nein, wenn «barock» nur einfach «dekorativer Stil, reich an Ornamenten und etwas gequält» heisst, dann ist er es sicher nicht. Wenn wir ihn aber als «gotisch» (nicht im Sinne der vorangegangenen Seiten) betrachten, kommen wir der Wahrheit vielleicht etwas näher, denn, was ist gotische Kunst ? In der Architektur sind es, vereinfacht gesehen, die beiden hervorspringenden, diagonalen Rippen, die sich im Schlussstein des Gewölbes kreuzen, die Befreiung des Gewichtes, welches in den romanischen Kirchen auf dem äusseren Widerlager ruhte, die Leichtigkeit, welche in immer höheren, weiteren, vom Lichte durchfluteten Gebäuden erscheint. Sind nicht die Eigenheiten der Gotik-Kraft, Leichtigkeit, Haltbarkeit, kühne, aber trotzdem ebenmässige Proportionen, grossartig, aber mit gepflegten Einzelheiten - auch diejenigen Bachs ? Unter den Malereien, dem Putz und den Stukkaturen des Barock verstecken sich die rein architektonischen, funktionalen, das heisst die tragenden Teile. Kein Kunstgriff, keine ornamentalische Überladung und Verzierung überdecken bei Bach je die architektonischen Grundzüge seiner Werke, welche immer ersichtlich und hörbar sind, selbst für Zuhörer, welche die Regeln der Fuge nicht kennen. Auf wen passen Goethes Aussagen «Architektur ist zu Stein gewordene Musik» oder «Musik ist bewegte Architektur» besser als auf die Gotik oder auf Bach ? Heisst das, dass es Bach an Phantasie, an Anmut oder an musikalischem Formenreichtum fehlte, welchen seine Vorgänger und seine Zeitgenossen ihre Gunst erwiesen ? Natürlich nicht. Nur verstehen sich diese bei Bach immer als harmonisierende Anteile eines monumentalen Ganzen, in gleicher Art wie die geschmückten Kapitelle oder die Bildhauereien an der Kathedrale von Reims. Die geistige und religiöse Haltung Bachs entspricht auch eher einer gotischen als einer barocken Einstellung. «Soli Deo Gloria» war Bachs Wahlspruch, aber schon einige Jahrhunderte früher hätten sich die mittelalterlichen Baumeistervon dieser Devise leiten lassen können. Verstehen Sie mich recht. Ich möchte niemanden dazu überreden, irgendwelche neuen Weisheiten zu schlucken. Überlassen wir das Katalogisieren und Dogmatisieren den Musikwissenschaftlern. Meinerseits lade ich nur dazu ein, in der Musik Bachs die ergreifenden Analogien zu folgendem zu spüren: « Die jugendliche, kraftvolle und feierliche Anmut der gotischen Pfeiler, die sich kühn gegen den Himmel erheben, und die sich kreuzenden Gewölberippen, die sich rhythmisch zu zweit oder zu dritt aus der Vielfalt zur Einheit vereinigen, um sich auf die festen Schlusssteine zu stützen.» Diese Beschreibung habe ich einmal aufgeschrieben, weil sie mir gefiel, aber ich weiss nicht mehr, von wen sie stammt.