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Regiemente im Überfluss: wozu ?

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Bemerkungen zum VLP-Seminar vom 28. Oktober 1987 in Nyon überdas Thema «Vereinfachung der Bau und Planungsregiemente ?», ein Beitrag von M. Vionnet und G. Collomb, zwei praktizierenden Architekten. Siegeben unter anderem eine Zusammenfassung allgemeinerArt und vermitteln einen Eindruck aus der gebauten Umgebung, die aus den peinlich genauen neuen Regiementen hervorgegangen ist.

Vorbemerkung «Es wäre nicht normal, wenn ein Künstler sich vorschreiben liesse, geistigen Inhalten eine Form zu geben, die zwar schön ist, ihnen aber nicht entspricht; oder es wäre auch nicht normal, wenn er aus Opportunismus darauf verzichten würde, das auszudrücken, woran er glaubt. Das kann aus Angst vor politischer Verfolgung, aus wirtschaftlichen oder geschäftlichen Überlegungen oder auch bei konformistischer Oberflächlichkeit passieren. Eine solche Entwicklung würde den Sittenzerfall bedeuten (...). Der Mensch besteht nicht nur aus politischen, ökonomischen und sozialen Problemen.» Adriano Bausola, Rektor der katholischen Universität Mailand; Zitat aus derZeitung«ll giornale»vom 7. September 1985.

Allgemeines Die Einschränkungen in der Architektur aufgrund formaler und reglementarischer Bestimmungen verschlimmern sich zusehends. Das lässt sich gegenwärtig in vielen kleinen Agglomerationen feststellen, die die Zuwanderung aus den grossen Zentren aufnehmen müssen. Die Einheimischen, die diese Entwicklung zwar wünschen, aber darauf nicht vorbereitet sind, versuchen die Neubauten zu integrieren, indem sie Grössen, Abmessungen, Formen und Farben vorschreiben. Die dabei angewandten Gesetzesinhalte basieren bloss auf einer ländlichen Idylle der Vergangenheit, die nicht nur beruhigend, sondern auch künstlich und falsch ist. Auch in den grossen Städten gibt es konservative Kreise, die gegenwärtig Druck ausüben und versuchen, die Architekten auf Nachahmer alter Stile zu reduzieren. Man kann sich fragen, wie lange die Verantwortlichen in der Planung sich noch auf Einsichtige stützen und dem billigen Traditionalismes widerstehen können. In den meisten Gemeinden sind die Regiemente, die bezüglich Form und Material zwingenden Charakter haben, in den sechziger Jahren entstanden (davon ausgenommen sind hier die grossen Städte). Sie wurden durch nachfolgende Revisionen weiter «verbessert», und zwar in dem Sinn, dass fortwährend bäuerliches oder historisches Aussehen oberflächlich und unecht, gleich einer Karikatur reproduziert wurde. Um eine direkte Konfrontation mit einer neuen Architektur ohne Anpassertum zu vermeiden, hat man allmählich, aber stetig, die Anzahl der Artikel erhöht, und zwar in dem Masse, wie Beispiele einer neuen Architektur in Erscheinung traten. Fleute sind wir soweit, dass die Anhäufung aller dieser Bestimmungen ein Gewirr von Verboten, ein echtes Instrument der Zensur bildet. Gleichsam als die Fangarme des Tintenfisches lassen sich in vielen gegenwärtigen Gemeinderegiementen folgende Elemente feststellen: a) Vorgeschrieben werden : -die Situierung in Parzellenmitte;

-die Limitierung in Profil und Fassadenlänge; - Satteldächer, unabhängig von irgendwelchen Vorstellungen vom Raum, von der Nutzung oder der Volumetrie im Gelände; - ein absurdes Verhältnis zwischen den Längen der beiden Dachflächen; -die Dachneigung; -Typ und Farbe der Dachziegel; -der obligatorische Dachvorsprung und seine Abmessungen; - Proportion, Form und Anzahl der Öffnungen im Dach, wenn nicht in der Fassade; -die traditionellen Fensterläden; Ausserdem sind verboten : - Flach- oder Pultdächer; - Holzkonstruktionen; -Pfähle;

- moderne und leichte Materialien; -Anlagen und Einrichtungen, die Intimität im privaten Aussenbereich schaffen. Es Messen sich noch viele Verbote aufzählen, die den formalen Ausdruck und die Materialien betreffen und immer mit polizeilichen Massnahmen einhergehen: der Abbruch und die Geldstrafe. 82.i

Das Bezugsmodell für die Gesetzgebung ist das Haus im Stil des Ortes, eine farblose Nachahmung des Bauernhauses, das bedenkenlos auf die Grösse einer Stadtwohnung verkleinert worden ist. Bei der Idee der Integration beschränkt man sich nur noch darauf, die Reproduktion vorzuschreiben, anstatt die gekonnt bewähltigte Verschiedenartigkeit zu fördern. Jedes andere, subtilere Mittel zur Integration wird indessen abgelehnt, denn es führt zum Ungewohnten und erzeugt möglicherweise subversive Präzedenzfälle. Ausserdem fürchtet man sich davor, die modernen Technologien entsprechend zum Ausdruckzu bringen; das wird sogar vermieden. Moderne Formen, die häufig mit dem bemerkenswerten kulturellen Aufschwung der sechziger Jahre Zusammenhängen, werden gemieden oder einfach verboten (an der schweizerischen Landesausstellung von 1964 zum Beispiel war das von zentralem Interesse, was aus dem reichen Erfindergeist hervorgegangen war). Die Auswirkungen dieser Verordnungen sind die, dass die Kompetenz der an unseren Schulen ausgebildeten Architekten verschwendet, und die Wirtschaft erheblich gebremst wird. Auf gesellschaftlicher Ebene kommt es zur Lähmung der kulturellen Auseinandersetzung. Um das Ausmass des durch diese Sehweise verursachten Schadens ermessen zu können, sei uns hier etwas in Erinnerung gerufen: Was ist Architektur? Die Antwort ist oft : «die Kunst zu bauen»-eine etwas kurze Antwort. Es handelt sich vielmehr um die Kunst, die Beziehung zwischen Tragstruktur und Raumhüllen für eine bestimmte Nutzung an einem vorgegebenen Ort zu organisieren. Es geht hier also um eine Synthese, bei der die Gegebenheiten des Themas, des Ortes und der Materialien berücksichtigt werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass eine so komplexe Arbeit reglementiert oder der Architekt dabei sogar bevormundet werden kann. In keinem anderen Beruf gibt es einen so offensichtlichen Widerspruch; einerseits die Notwendigkeit einer Ausbildung an der Universität, die es ermöglicht, den Studenten in eine subtile Art des Ausdrucks einzuführen, andererseits die Auflage, nach veralteten Modellen zu bauen. Das kann man Verschwendung oder Ablehnung beruflicher Kompetenz nennen, und es ist deshalb gerechtfertigt, sich zwei Fragen zu stellen: - Wozu braucht es einen Architekten, der Pläne unterschreibt ? - Was ist allgemein der zusätzliche Beitrag des Architekten an einen banalen Bau, von der Gesamtkonzeption bis zum Detail gesehen ? Wir müssen feststellen, dass die meisten gebauten Objekte, vor allem die Einfamilienhäuser, nicht Ausdruck dieser Kunst, sondern eher das getreue Abbild zufälliger Modelle ohne besondere Anpassung an Thema und Ort sind. Das kann man die mittelmässige Produktion der Gesellschaft nennen, der mittelmässige Ausdruck häuslicher Bedürfnisse, die von mittelmässigen Bauleuten umgesetzt worden sind. Demzufolge müsste man zwei Gattungen unterscheiden: den Erbauer banaler Objekte und den Architekten. Nun wird die Arbeit des Architekten durch Regeln bestimmt, die man für die Erbauer banaler Objekte als notwendig erachtet. Die Illusion des Reglements besteht darin, dass behauptet wird, man könne die «Harmonie» durch die Wiederholung eines gesellschaftlich akzeptierten Modells erreichen, akzeptiert deshalb, weil es vermutlich einer stimmenden Mehrheit gefällt: die «villa vaudoise», eine lokale Abwandlung des Einfamilienhauses im Stil der Gegend, jedoch mittels «unbedeutender» Anpassungen überall anwendbar. Mit diesem Konzept soll die Harmonie durch eine von oben aufgezwungene Schablone erreicht werden. Davon sind die öffentlichen oder institutionellen Bauten noch für einige Zeit ausgenommen. Doch lassen sich schon erste Anzeichen des Phänomens auch bei diesen besonderen Bautypen erkennen; Walmdächer bei Gebäuden, die nichts mit individuellem Wohnen zu tun haben, sind keine Seltenheit mehr, und zwar einfach deswegen, weil jeder «Präzedenzfall »abgeblockt werden muss der Präzedenzfall, das schwarze Schaf der Architektur-Kontrolleure, eine beunruhigende Bedrohung durch fachliches Können bei der Routine des Mittelmasses. Ausserdem lässt sich heute auf dem Land feststellen, dass die ästhetischen Auswirkungen der von der Reglementenflut bestimmten Entwicklung katastrophal sind: die Zonen mit den kleinen Häusern, vornehm «zones villas» genannt, sind die hässlichen Flecken in unserer Landschaft; die Mietshäuser, die sich am meisten vermehren und sogar ungeschickt als «Marie-Antoinette-Weiler» verkleidet werden, überwuchern die reizende Landschaft und beanspruchen sogar eine Platz inmitten der sog. Dorfzonen. Unsere Denkmäler werden durch künstliche Folkloreprojekte bedroht, während man eine echte

Architekturkultur, die nur im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt möglich ist, verhindert. Städtebau ist, wie es der Name sagt, die Wissenschaft von der Stadt. Doch Instrumente wie der Zonenplan und die entsprechenden Regiemente verhindern jede strukturelle Entwicklung des Systems Stadt. Im multifunktionalen Netz von Strassen, Platzen, Boulevards, Passagen und Höfen wird die Trennung derTätigkeiten und sogar der Wohntypen aufgehoben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Reglement die Meinung widerspiegelt, die Gestaltung der Bauten lasse sich rationalisieren, doch in Wirklichkeit wird damit vor allem die echte Auseinandersetzung mit der Architektur unterdrückt und auch die Anwendung neuer Technologien verhindert. Anders gesagt, wirkt das wie eine Bremse auf den Fortschritt und die Ökonomie der Mittel. Instrumente wie die«Zonierung» und das entsprechende Reglement sind also ungeeignet. Sie verunmöglichen es, an die Entwicklung der menschlichen Wohnstrukturzu denken oder die Entwicklung auf die Wohnqualität des architektonischen und städtebaulichen Raums auszurichten, und führen bloss zu einem Dekor, der manchmal an Cinecittà oder Disneyland herankommt, aber ewig demjenigen irgendeiner Provinzstadt-Agglomeration gleichen wird. Zur Überwindung dieser Klippe müssten die Beziehungsnetze gezeichnet und die freien Räume untersucht werden. Die Regiemente wären zu vereinfachen, indem man auf den ganzen Ballast mit den formalen Rezepten verzichtet. Sie sollten nur auf nutzungspräferenzen und Koeffizienten beruhen. Kleiner Streifzug durch diese neue Reglementierung Mit den folgenden Eindrücken soll die Realität der gebauten Umwelt, wie sie die drakonischen Regiemente zulassen und schützen, ins Bewusstsein gerufen werden. Wie ist das dürftige Ergebnis bezüglich Ästhetik und Architektur zu erklären ? Es ist ein Resultat dieses schwerfälligen, kostspieligen und im Widerspruch zur künstlerischen Freiheit stehenden Apparates. Die künstlerische Freiheit ist immerhin ein Unterkapitel der Menschenrechte.

Es handelt sich hier um Bauten ohne jede Regel und mit extremen menschlichen Bedürfnissen als Grundlage. Ihre Anziehungskraft geht von etwas Lebenswichtigem aus: von einem Wohnen, das gewisse soziale Kontakte ermöglicht und deshalb eine hohe Lebensqualität bietet. Dichte, Distanz, Formen und Materialien, Oberflächen, Durchbrüche usw. - alles das ist spontan entstanden. Ohne diese lähmenden Vorurteile, von denen gewöhnlich die offiziellen Regiemente herrühren. Dort fühlen sich die Bewohner anscheinend wohl, trotz einer höheren Ausnutzungsziffer. Dort gibt es kaum die grossen Abstände zu den Nachbarn, den Autoverkehr, der alles frisst, was mit der Massstäblichkeit der Wege zu tun hat, kaum die vorgeplanten Dachformen, Materialeinschränkungen, Abstände zum Waldrand (das beschriebene Quartier reicht bis unmittelbar an die Bäume heran) oder Regeln bezüglich minimaler Bodenflachen Die Abgrenzungen zwischen den Grundstücken geben den Familien die Intimität. Auch das, was auf die Landschaft eine grössere Auswirkung hat, ist beherrscht. Jeder Winkel wird fürs Leben genutzt, auf private und komfortable Art. Obwohl dieser Ort etwas abgelegen ist, wirkt er sehr einladend, und die Familien aus der Stadt kommen auf ihren Sonntagsausflügen hierher. Es wird hier eine bestimmte Lebensqualität ausgedrückt, an der es anderswo gewöhnlich fehlt. Was sich an den gewachsenen Wohnsiedlungen heute ablesen lässt, findet man eigenartigerweise auch bei den so bewunderten Wohnhäusern unserer alten Städte vor. Die Denkmäler der Vergangenheit-und nicht der sterile Mythos, wie er von vielen sogenannten Denkmalschützern fabriziert worden ist-enthalten zahlreiche für die architektonische Qualität wesentliche Punkte, die aus der beschränkten Sicht der heutigen Regiemente untolerierbare Ausnahmen sind. Diese gebauten Strukturen lassen sowohl die Regel wie die Ausnahme zu. Dieses Gleichgewicht kommt von der richtigen Anwendung der zur Verfügung stehenden Mittel, die spontan und mit gesundem Menschenverstand unter Ausnutzung des Grundstücks eingesetzt werden, und von der Einfachheit der Materialien. Früher Hess es ein Entwicklungsplan 82.III

zu, Bauplatze hinzuzufügen oderein anderes Grundstück einzubauen sowie die Gebäude unterschiedlich zu gestalten. Aufschlussreich für jene Zeit ist die Art, das Problem der Indiskretion zu bewältigen, ein Punkt, an dem die unglücklichen Versuche bei den Siedlungen scheitern: nämlich dafür zu sorgen, dass aus der Privatheit nicht das entsteht, dass man «seine freche Nase in des Nachbarn Angelegenheiten steckt». Die Geschichte liefert manche Beispiele, bei denen eine glückliche Aufteilung zwischen Gemeinschaft und Intimität besteht, wo es zum Beispiel keinen Zwang zu bestimmten Wegen und Durchgangen gibt.

Ausserdem bemerkt man bei näherem Hinsehen Landwirtschaftsgebaude von früher mit ausladenden Volumen, überraschenden Materialanwendungen und Organisationen, die anhand der heutigen, sich angeblich an der Vergangenheit orientierenden Regiemente kaum zugelassen würden. Im Gegensatz dazu, was uns die Exegeten der Vergangenheit glaubhaft machen wollen, wimmelt es bei solchen Strukturen von zugänglichen Terrassen, die mit Absicht eingefügt wurden, manchmal bepflanzt sind und sogar an den schönsten Orten Vorkommen; ferner sind zu erwähnen : Pultdächer mit überraschenden Geometrien und Kombinationen, auskragende Elemente, blinde Fassaden, die nach dem gegenwärtigen Geschmack des Gesetzgebers zu lang sind, hohe Einfriedungsmauern, geheimnisvoll und im aktuellen «Städtebau» verpönt, Situierungen entlang der Grundstücksgrenze, malerisch eingesetzte Materialien aller Art, naturbelassen und ungeschminkt, wie das einheitlich rote, matte rostige Blech oder das Blei, die fröhliche Vegetation, die grosszügig dimensionierten Dachverglasungen in Dächern über klaren Volumen, Stege über Gassen mitten in der Stadt, Situierung am Rande des Grundstücks, gedeckte Aussenzonen usw. In der Tat steht das in der Vergangenheit Gebaute für eine grosse Freiheit, die auf einem Minimum an einfachen Parametern basiert. Diese leiten sich aus dem gesunden Menschenverstand ab, der Spontaneität und Frische bewirkt sowie die Möglichkeit schafft, alle für die Nutzung notwendigen Ergänzungen und Korrekturen richtig zu integrieren, was bis zur Gestaltung der Umgebung gilt. Genau das wird in den Regiementen gründlich eliminiert, wobei man sich angeblich an ebendieser Vergangenheit orientiert. Der Zusammenhang ist dabei rein formal und weit entfernt von einer rationalen Grundlage. Auf diese Weise würden gewisse hochgejubelte Bauten der Vergangenheit heute dem Gesetz zum Opfer fallen.

B) Das « Reglementierte» (das Einfamilienhaus und seine Zone) Aufgrund eines vom örtlichen Bauernhaustyp hergeleiteten anpässlerischen Modells möchte man mit dem Reglement eine Harmonie erzwingen, die durch eine allgemeine Uniformität erreicht werden soll,-oder wenigstens die Disharmonie durch die Kontrolle von Formen und Materialien vermeiden.

Doch es ist ein Misserfolg: Banalität macht sich breit, die Landschaft ist verunstaltet, die «Einfamilienhauszone» bietet keine eigentliche Wohnqualität, sondern ist bloss eine zufällige Anhäufung isolierter Zellen für Vorstädter.

AC-Architecture contemporaine Mon Anthony Krafft. 280 Seiten, 600 Bilder, teils farbig, teils schwarzweiss, 23x30 cm, gebunden; Herausgeber: Anthony Krafft, Pully/Lausanne 1987; Preis: Fr. 85.-.

Im vergangenen Jahr ist der neunte Band einer Publikationsreihe erschienen, die im Jahresrhythmus unter dem ehrgeizigen Titel «Architecture contemporaine» versucht, anhand einer respektablen Zahl ausgewählter Bauten gleichsam eine Rundsicht über das Geschehen in der Architektur aller Sparten zu geben. Herausgeber und Chefredaktor ist Anthony Krafft - er trifft auch die Auswahl der Beispiele und besorgt den Umbruch. Krafft verfügt ausserdem über ein illustres Feld von ständigen Mitarbeitern und Korrespondenten, als da sind Namen wie Beck-Erlang, Stuttgart, Guy Collomb, Lausanne, Marc Gaillard, Paris, Mathias Goeritz, Mexico, Dennis Sharp, London, lonel Schein, Paris, Martin Schwänzer, Wien, Harry Seidler, Australien, Heikki Siren, Helsinki, Ren Suzuki, Tokio u.a. Wer die Nöte und das aufregende Hin und Her beim Zusammentragen einer Dokumentation dieses Umfangs kennt, wem die Nonchalance, mit der Sammelwerke vergleichbaren Anspruchs oft bearbeitet werden, in die Nase steigt-der wird sich freuen dürfen an dem mit dem Eifer des passionierten Kenners zusammengestellten Panoptikum. Der stattliche, französisch und englisch kommentierte Band ist in sechs Abschnitte gegliedert: Habitation; Industrie et transports; Commerce et administration; Vie sociale, culture et éducation; Santé publique et culte; Sports, loisirs et tourisme. Die Bauten werden fast durchweg mit grossformatigen Aufnahmen und Plandarstellungen gezeigt und mit kurzen Informationen über Konzept, Konstruktion und Material ergänzt; selbst die Adressen der Architekten sind zu finden. .. Zum Erfreulichen gehört ausserdem, dass Krafft der Versuchung widerstanden hat, eine Bestsellerparade zu inszenieren - natürlich sind sie auch da, die Primadonnen, Symposiumsprediger und Kulissenkünstler, daneben aberfindet gute Architektur auch ausserhalb dieses Erlauchtenzirkels statt; dafür möchte man dem Herausgeber ein Kränzchen winden. Unter dem Titel «L’homme et la ville» gelangt schliesslich einleitend ein Thema zur Diskussion, das -mit kompetenten Namen zwar-zu Platituden reizt; aber immerhin sind die UdSSR und China mit dabei... wem’s behagt ! Alles in allem: mir gefällt das Buch ! Bruno Odermatt Schweizer Ingenieur und Architekt Nr. 17, 21. April 1988.

Die grünen Flächen lassen in ihrer Konzeption ein Gefühl von diffuser Überwachung aufkommen. Die Bewohner sind dort gegenüber ihren Nachbarn wie in einer Vitrine ausgestellt; es ist kein Ort zum Wohnen und Leben, denn der Übergang zwischen Intimität und Gemeinschaft ist nicht so dosiert, dass der Bewohner frei wählen kann. Diese Orte sind für jede Nuancierung in sozialer Hinsicht ungeeignet; die «privaten» Grünzonen sind schamlos den Blicken der Nachbarn ausgeliefert. Die monotone und nichtssagende Architektur rührt von den Volumen her: Die Schwerfälligkeit der übertriebenen technischen Vorsichtsmassnahmen wirkt sich auf die konstruktiven Details aus; es wird versucht, die aus der Konzeptarmut hervorgegangene Gestaltung mit ein paar kläglichen dekorativen Klischees aufzumöbeln. Dieser Missstand lässt sich auch daran erkennen, dass die Sonntagsspaziergänger solche Gegenden meiden, weil sie ihre Familien mit der deprimierenden Langeweile dieser Orte verschonen möchten. In solchen Zonen droht die gegenseitige Toleranz zu verschwinden, weil sich Belästigungen anderer Liegenschaften, vor allem visueller Art, nicht vermeiden lassen. Ohne ein entsprechendes architektonisches und städtebauliches Konzept geben diese drohenden Indiskretionen Anlass zu ständiger Sorge. Die Realität des Landlebens hat auch ein böses Erwachen zur Folge: Um das zu vermeiden, möchte der freiwillig aufs Land gezogene Städter am liebsten eine mythische, keimfreie Landwirtschaft, wo statt der Ställe und Höfe, der Basis unserer Nahrungsproduktion für die Stadt, prächtige Bauerhäuser im Stil der Kalenderbilder anzutreffen sind. Für den städtischen Komfort auf dem Land würden dort die Rinder täglich gestriegelt, die Hähne zum Schweigen gebracht und der Dünger mit Veilchenduft neutralisiert-das alles, um die harte Wirklichkeit ein wenig in den Hintergrund treten zu lassen und nicht auf den geliebten Komfort verzichten zu müssen. Statt dessen hat man um sein Heim herum alles mögliche zu erdulden, so etwa sich schnell vermehrende Neubauten ohne Geschmack und Sensibilität, Lärmbelästigungen durch den Landwirtschaftsbetrieb, unkontrollierbare bukolische Ausdünstungen, die Abhängigkeit von einem launischen und rauhen Wetter oder die zyklisch entstehenden Autokolonnen auf ungeeigneten Strassen... Im Zusammenhang mit diesen allgemein skizzierten Gedanken zu den gegenwärtigen Regiementen ist darauf hinzuweisen, dass siedlungsförmiges Wohnen auch keine Alternative darstellt: Je länger, je mehr, wird bei dieser Idee der Inhalt vernachlässigt, der zu einer architektonisch glaubwürdigen Lösung hoher Qualität führen würde : Die Wohnzellen werden von allem «gesäubert», das von der echten technischen Kultur unseres Zeitalters bestimmt ist, denn eine solche Erscheinung gilt als ungewohnt. Zum Beispiel wird die notwendige Beziehung zwischen innen und aussen aufgehoben, und man ist gezwungen, das Äussere einer Siedlung hoher Qualität mit den in den Einfamilienhauszonen üblichen Pseudo-Bauernhaus-Imitationen zu versehen. Die Ursache ist offensichtlich rechtlicher Natur: Der doktrinäre Idealismus verlangt danach, alles zu zensurieren, was in der allgemeinen Banalität die Ordnung störende «Präzedenzfälle» schaffen könnte, denn ein Nachgeben in der Überwachung von Formen und Materialien würde dieses Diktat über die architektonischen Räume und den Geschmack ins Wanken bringen. In derTat beeinträchtigt diese Beseitigung positiver Elemente fast immer die Qualität der Räume. Diese ergeben sich aus einer Synthese zu einem neuen architektonischen Gebilde. Aber durch die Erweiterung der irrigen Vorschriften beeinträchtigt man diese neuen Wohnformen, indem man ihnen die obligaten Klischees der Einfamilienhauszone aufzwingt. Die Siedlung, deren Entwicklung ursprünglich durch mutige Beispiele gefördert wurde, ist so auf eine abgehackte Reihe banaler Einzelwohnungen reduziert worden; dabei sind die Häuser an den Giebelseiten notdürftig in Form von langweiligen Serpentinen miteinander verbunden und mit einem düsteren Hut, nämlich dem Satteldach, ausstaffiert. Das Mietshaus und seine Zone sind das Ergebnis desselben Verfahrens wie beim kleinen Haus, pompös «Villa» genannt. Als Modell dienen die Super-Villa oder das Super-Bauernhaus, manchmal sogar die Super-Siedlung total neben dem Thema. Das Resultat ist nicht besser: Die Mietshäuser werden nicht nur in isolierten Zonen zusammengefasst; sie werden auch ohne jedes Geschick in der «Dorfzone» untergebracht, die, wie es der Name ausdrücken sollte, immerhin zur Erhaltung der echten ländlichen Bausubstanz bestimmt ist.

Man will alle diese Regeln mit der Behauptung, sie seien notwendige «narrensichere» Richtlinien, rechtfertigen (wo sind die Narren und wo die Sicherheit in der Geschichte ?). Aber die Hässlichkeit und die Mittelmässigkeit lassen sich damit nicht vermeiden. Im Gegenteil, durch die Zunahme der Regeln werden neue, zeitgemässe Modelle und Techniken verboten. Es wird nicht mehr möglich sein, sich von den schöpferischsten Gedanken zeitgenössischer Architekten inspirieren zu lassen, denn ihre Neuartigkeit verursacht zuviel Aufruhr, zuviele sogenannte demokratische Probleme... Ein kleines Experiment zeigt auf, in was für einem Ausmass sich die durch eine solche Reglementierung ausgeübte Zensur auswirken kann. Nehmen wir an - nur zum Spiel und aus Neugierde -, wir würden Pläne, Schnitte und Fassaden eines Projekts, dessen Verfasserein anerkannter Architekt der Moderne ist, wie zu einer vorgängigen Prüfung bei einer Baueingabe einreichen. Es kann sich dabei um ein Projekt von Wright, Aalto, Mies van der Rohe oder einem andern handeln. Man beachte dann genau, wie nun in einer wirklichen Baueingabe verfahren würde angesichts dieser «wandlungsfähigen Mängel», wie sie die architektonischen Merkmale dieser grossen Meister aus der Sicht der übertriebenen Regiemente darstellen. Wir können sofort feststellen, dass wir keine Wahl haben: Wir müssen auf jeden von einem talentierten Architekten stammenden Bau endgültig verzichten, denn so weit geht seine Ehrlichkeit im ästhetischen Ausdruck; dieser verträgt sich mit der engen Sicht gewisser Regiemente nicht. Oder aber wir müssen diese Meisterwerke zurückstutzen und soviele wesentliche Merkmale weglassen, dass von ihren architektonischen Qualitäten bald nur noch ein Krüppel übrigbleibt. Leider ist es so: Alles das, was man an den Architekturschulen lernt, ist in diesen Regiementen verboten; das ist ein wenig wie wenn einzig die «Académie du Café du Commerce» für das im Architektenberuf anzuwendende Know-how massgebend wäre. Diese Verschwendung könnte man mit einer Situation vergleichen, in der sich Musiker mit einem Diplom des Konservatoriums darauf beschränken müssten, ausschliesslich lukrative Lieder zu komponieren, und das, nachdem sie alle Feinheiten der Harmonie und des Kontrapunkts kennengelernt haben.

D) Schluss Von den Befürwortern eines umfangreichen Reglements hört man nur allzuoft folgende Spitzfindigkeit: «Sogar das Reglement mit den grössten Einschränkungen ermöglicht noch gute Architektur», was etwa der Behauptung entspricht: «Auch ein Athlet, der an eine Kugel gekettet ist, kann noch auf einen Rekord im Marathon hoffen !» In diesem Zusammenhang ist es tatsächlich manchmal möglich, dass es einem guten Architekten gelingt, unter Beachtung dieser drakonischen Regiemente vorbildlich zu bauen... (A) ...Aber die guten Architekten machen auch ohne die vielen kleinlichen Regiemente gute Architektur, (B) ...während diese gleichen ständig «verbesserten» Regiemente die schlechte Architektur nicht verhindern. Schlimmer noch, durch den Nimbus der Legalität gibt man auch den Segen dazu. (C)