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die gans - paraphrase über einen essai von erich kästner

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die gans - paraphrase über einen essai von erich kästner 1 während man an einem projekt arbeitet denkt man nicht nur über die sache nach die aufgabe sondern auch über das schaffen der verlangten räume das bauen, die architektur, man denkt thematisch, in Worten und räumlich im gleichen atemzug. beides geschieht nicht etwa nebeneinander, nicht nacheinander, durcheinander, sondern mit- und ineinander. das ist kein musisches mysterium, es sind 2 simultane akte. beide Vorgänge verschränken sich wie die hände beim händefalten, die linke weiss was die rechte sucht, was sie möglicherweise tun wird allerdings muss sich die linke hand von der rechten lösen wenn man zeichnen will — vergleiche haben ihre tücken. 2 als nächster versuch ein beispiel aus der Vogelkunde, die gans: sie ist, dank der federkiele besonders literaturfähig die regeln stecken in der architektur wie die knochen in der gans das skelett war nicht vor dem vogel da sie wuchsen gemeinsam und das tier trägt seine immanenten gesetze, die architektur, nicht aussen oder gar als Orden um den hals. in diesem fall würde die architektur, beziehungsweise die gans haltlos in sich zusammenbrechen. man kann die gans mit heisshunger oder mit andacht essen und die knochen, die zwar viel gewicht haben aber überhaupt nicht schmecken unter den tisch werfen. dann ist man bewohner, benützer, publikum. man kann auch das fleisch wegwerfen und die knochen hübsch nummerieren, sie mit feinstem draht wieder zum ursprünglichen skelett zusammensetzen. dann ist man Zoologe. als solcher kann man das kommt vor eine flügellahme gans erwischen oder die gans mit einer ente verwechseln und das rekonstruierte gerüst für die norm und das gesetz halten dann ist man immer noch Zoologe. man kann sogar über die bastelei mit knochen hinauswachsen und dem toten vogel vorwerfen er habe bei lebzeiten nie wie ein pfau ein schillerndes rad geschlagen, nie nachts im fliederbusch geschluchzt wie eine nachtigall dann ist man immer noch zoologe. diese Zoologen wie kann auf diese weise eine vollkommene gans ein vollkommener vogel sein? dieser vollkommene vogel wäre, wenn es ihn überhaupt geben könnte nicht einmal eine unvollkommene gans sondern ein albtraum ein Sammelsurium mit flügeln. sehr selten nur haben Verfasser von lehrsätzen eine gans erschaffen, nicht einmal eine lahme -

soviel über die zoologie und das federvieh oder um deutlicher zu werden : über das feder-vieh in zwei Worten, heute ohne gänsekiel. 3 Stil ist wuchs. da helfen weder wünsche noch kommandos. es gibt kein allgemeinverbindliches bauprinzip. es gab epochen mit strengen regeln dann wurde aus wuchs zwang, aus Wäldern wurden baumschulen. im streit um den 'Cid' siegte die Akademie und Corneille wurde baumschüler. natürlich primus, denn er war nicht nur folgsam sondern auch ein genialer mann. regeln und gesetze können alt werden. doch die ausnahmen kommen zur weit vermehren sich und besuchen die gesetze nur noch um ihnen zum hundertsten geburtstag zu gratulieren. nach ihrem ableben lässt man sie ausstopfen, gegen mottenfrass versichern und von der jugend naturgetreu nachzeichnen. das ist grober talentmissbrauch. wir leben nicht in einer strengen epoche trotzdem der schrei nach regeln rezepten sehr laut ist. es gibt nichts das es nicht gibt oder geben könnte ausser einem verbindlichen bauprinzip 2 oder 3 banalitäten, so unsterblich sie auch sein mögen ergeben noch lange keinen katechismus.

er muss aber auch den grundgedanken des entwurfs durchhalten, den dialog mit der Umgebung sei sie gebaut oder natur er muss sich der räumlichen Ordnung die er provoziert hat unterordnen sonst verletzt er seinen eigenen träum den schöpferischen versuch jeder bau ist ein kaudinisches joch eine Zwangslage wer hat es ersonnen ? wer hat es errichtet? wer muss hindurch ? der architekt - weil er es will später wenn er sich aufrichtet und zurückblickt, kann es geschehen selten dass er seinen eigenen äugen nicht traut er sieht einen wurf es ist ein wunder geschehen und so darf er sich wundern denn wunder sind rar sie sind fast so selten wie gute bauten

4 das ist keine faule ausrede, kein anlass zu Übermut, denn von gesetzlosigkeit ist nicht die rede, es gibt nicht eine allgemeingültige dramaturgie nicht eine allgemeingültige architektur für alle bauaufgaben aber jeder entwurf hat seine immanenten gesetzmässigkeiten die gans die merkmale der gans das pferd jene des pferdes es handelt sich um eine deklaration der freiheit im singulär um eine freiheit mit einzelhaftung, es ist eine reformation ohne reformator und eine reformation ohne reformator nennt man entwicklung wuchs évolution 5 bauen heisst lebensräume schaffen, innen- und aussenräume wo manschen ihr Zusammenleben auf vielfältigste weise einrichten können, dabei ist der architekt nur einer unter vielen : er muss mit den bewohnern die aufgabe definieren dann mit den bauleuten das instrument stimmen für den ersten gebrauch aber nicht überbestimmen sonst verhindert er das weiterentfalten des lebens. 90.III