1987 ist das Jahr des hundertsten Geburtstags von Le Corbusier. Um diesen Geburtstag zu feieren, werden zahlreiche Ausstellungen sein vielfältiges Werk analysieren. Die Ausstellung «Le Corbusier, Maler und Bilderhauer» in Venedig, ist bestimmt diejenige, welche den Architekten am meisten berührt. In derTat, zum ersten Mal seit 1938, als sie im Kunsthaus Zürich stattfand, wird das Bildwerk von Le Corbusier als solches präsentiert, und nicht als eine Ergänzungs- oder Zusatzlehre zu seinen Architekturarbeiten. Man kennt die Wichtigkeit, welche Charles Edouard Jeanneret, bekannter unter dem Pseudonym Le Corbusier, dieser verborgenen Arbeit beimass und mit welcher Beharrlichkeit er sein ganzes Leben lang ein wichtiges Bildwerk verfolgte. «Ich bin ein leidenschaftlicher Maler», schrieb Le Corbusier.«lch malte während sehr langer Zeit jeden Tag, obwohl ich erst mit 33 Jahren damit begann. Aber die Malerei war für mich sofort eine heilige Sache.» Obwohl kaum bekannt, ist das Bildwerk von Le Corbusier das Werk eines echten Malers, welches man nicht ignorieren kann. So wird in Venedig, im Museum Correr, eine komplette Zusammenstellung seines Werkes gezeigt, seine ersten Zeichnungen von 1918 und seine letzten Werke von 1965 umfassend. Während seines puristischen Zeitabschnitts wählte der Maler Jeanneret Standardobjekte wie Bücher, Pfeifen, Gitarren, Flaschen, Gläser, Teller in einer kontrapunktischen Komposition mit einem ausgeprägten Sinn für das Monumentale. Seine Malerei bleibt in erster Linie bei plastischen, experimentellen Untersuchungen. Der Gegenstand ist Vorwand für eine absichtliche ästhetische Spekulation, die Farben sind dumpf und weich. Gegen 1922 erscheinen lebhaftere Töne in einheitlicher Farbe. Nach und nach wird das begrenzte Alphabet der Standardobjekte durch natürliche Motive ersetzt: Muscheln, Steine, Wurzeln zusammen mit Landschafts- und Ortselementen. Gegen 1927 erscheint der Mensch und wird allmählich zum Flauptthema. Wenn Le Corbusier die menschlichen Proportionen übertreibt und verändert, so hat er nicht die Wahnidee, die verschiedenen Gesichter eines Menschen zu entlarven, zu enthüllen, wie es Picasso machte. Er verfolgt eher eine komplexe und verborgene Linie, die aus dem Unbewussten entstanden ist. Zeichen, wo der MenscLi im Kampf mit sich und gegen sich erscheint... Von 1918 bis 1929 entstanden aus dem Schaffen von Formen Volumen und Raum; mit dem Erscheinen des menschlichen Körpers und kräftigen weiblichen Formen nimmt das Thema der Frau einen entscheidenden Platz in den Werken von Le Corbusier ein. Die Suche nach «akustischen Formen» von 1940-1947 gehen einem neuen Tierbuch voran, woraus später die Skulpturen zusammen mit Joseph Savino geschaffen werden. Mit Gemälden wie die Serie der Stiere und der Ikonen drückt er ab 1952 eine grosse Freiheit der Formen und Beziehungen durch Übertragung des Konkreten auf Andeutungen und Flinweise auf den Raum aus. Die bildliche Darstellung wird zum Wesentlichen gemacht. Der Purismus der ersten Jahre führte zur Abstraktion, die sich in stark strukturierten Werken zeigte. Wenn sich Le Corbusierwie Picasso mitten in Auseinandersetzungen der modernen Kunst befand, so war es der Architekt, der bekannt war; der Maler blieb im Schatten. In bezug auf ein Projekt für eine Ausstellung, welche wir ihm 1958 zusammen mit Pierre Faucheux und Pierre Baudouin vorgeschlagen hatten, meinte er:«lch habe seit 1923, d.h. seit 35 Jahren, gemalt, ohne mich um das Bekanntwerden meiner Malerei zu kümmern (abgesehen von wenigen Ausnahmen). Die Kritik ignorierte mich komplett da sie sozusagen überhaupt nichts von mir gesehen hatte.» Die Ausstellung in Venegig, bemerkenswert wegen der Originalwerke, Aquarelle, Pastellgemälde, Zeichnungen, Ölgemälde, Werke in Email und Skulpturen, zeigt auf eindrückliche Weise die diversen Formen und Phasen in der Bildsprache von Le Corbusier. Bedauerlich ist, dass die Wandteppiche nicht ausgestellt sind und uns so ein wichtigerTeil von Le Corbusiers plastischen Schaffens vorenthalten wird. Es seien hier die «Muralnomads»erwähnt, die mit grosser Kompetenz von Pierre Baudouin, leidenschaftlicher Vermittler zwischen dem Künstler und den Flandwerkern von Aubusson, realisiert wurden. Dass diese Ausstellung von der Firma Olivetti in Zusammenarbeit mit der Stadt Venedig organisiert wurde, ist kein Zufall, sondern eher Zeichen der Freundschaft und des gegenseitigen tiefen
Respekts zwischen zwei bedeutenden Männern : Adriano Olivetti und Le Corbusier, deren Zuneigung zu der Stadt der«Dogen» kein Geheimnis ist. Es waren nur die Umstände, die die beiden Männer an einer konkreten Realisierung der zwischen 1935 und 1960 vorgesehenen Projekte hinderten. Es ist in der Nähe von Mailand, in Rho, wo das elektronische Laboratorium von Olivetti hätte stehen sollen. Eines der letzten Projekte des Architekten war dasjenige des Bürgerspitals von Venedig in San Giobbe. Weder das eine noch das andere Gebäude wurde gebaut. Das Schicksaal, welches es anders wollte, ist heute der Grund für die bemerkenswerte Widmung des Museums Correr. Bemerkenswert nicht nur wegen des Themas und der Wahl der Werke, sondern auch wegen der Präsentation von Achille Castigliani, welchem es gelang, die Säle und die Raumzonen des Museums umzugestalten. Mit der sorgfältig konzipierten Beleuchtung gelingt es, die genauen Lichtzonen zu kreieren, was notwendig ist, um die ausgestellten Werke, welche uns die Corbu-Atmosphäre atmen vermitteln, hervorzuheben. Die Neustrukturierung der Museen, das Organisieren von Ausstellungen wird entschieden zu einer italienischen Spezialität: zum Beispiel die Ausstellung überden Futurismus im Palazzo Grassi, prachtvoll konzipiert von Gae Aulenti, welcher auch in Paris das Musée du XIXe siècle im Palais d'Orsay einrichtet. Man erinnert sich auch an die Retrospektive Calder in Turin 1983 auf 15 000 Quadratmetern des Palazzo in Vela. Gleichzeitig Fest, Zeremonie und Schauspiel, war diese Ausstellung ein herausragendes Kulturerlebnis, einzigartig in ihrer Raumkunst, entstanden durch geheime Rätrme und magische Zonen von Dunkelheit und Licht und Inszenierung, so der treffende Ausdruck des Architekten Renzo Piano. Die Ausstellung «Le Corbusier, Maler und Bildhauer», von Giuseppe Mazzoriol, Giandomenico Romanelli, Renzo Zorzi und Susanna Biadene organisiert, ist ein schönes Zeichen der Freundschaft zwischen der Firma Olivetti und der Stadt Venedig, zur Erinnerung an den hundersten Geburtstag von Le Corbusier. Der Katalog, herausgegeben von Arnaldo Mondadori und von Susanna Biadene mit grosser Sorgfalt zusammengestellt, wird ein nützliches Dokument bleiben. Es ist das erste dieser Art überein allzusehr verkanntes Bildwerk. Durch die Richtlinien, die Auswahl der Werke und die architektonische Einrichtung ist diese Veranstaltung eine Art Bestätigung für die dringende Notwendigkeit geworden, eine wirkliche «Synthese der Kunst», wie sie von Le Corbusier gewünscht wurde, zu erreichen. Jean Petit